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Erinnerung an den 7. Oktober: Ein kollektives Trauma

Das Bild zeigt eine kleine israelische Flagge, die an einem dünnen Stab befestigt ist. Die Flagge hat das charakteristische blaue Davidstern-Symbol zwischen zwei horizontalen blauen Streifen auf weißem Hintergrund. Im Hintergrund, der unscharf ist, sieht man einen Friedhof mit Grabsteinen. Symbolbild Terrorangriff Israel 7. Oktober Gedenken an die Opfer und Geiseln des Massakers

Das Bild zeigt eine kleine israelische Flagge, die an einem dünnen Stab befestigt ist. SYMBOLBILD

Heute um 6:29 Uhr heulten in Israel die Sirenen – zur Erinnerung an den schrecklichen Moment, als Terroristen das Nova-Musikfestival angriffen und 364 Menschen brutal ermordeten. An diesem Jahrestag gedenkt Israel der Narben, die noch lange nicht verheilt sind. Der 7. Oktober markierte einen kollektiven Schock und tiefe Wunden in der Gesellschaft. Ausgerechnet am Freudenfest der Thora, Simchat, begann der mörderische Angriff auf das Land, bei dem insgesamt mehr als 1.200 Menschen getötet wurden. 251 Menschen wurden von der Hamas und anderen Terrorgruppen entführt. Einige dieser Geiseln überlebten nicht, und ihre Leichen wurden in den Gazastreifen verschleppt. Heute sind noch 97 Geiseln dort, von denen 34 als tot vermutet werden. Erst heute erklärte das israelische Militär den Tod einer weiteren Geisel.

Israels Schmerz und Gedenken – ein Kommentar von Steven Oberstein

7. Oktober – Fortgesetzter Terror

Die israelische Gesellschaft ist tief getroffen und voller Wut. Wie konnte es zu diesem 7. Oktober kommen? Doch für eine ruhige Aufarbeitung blieb keine Zeit, denn der Terror setzte sich fort – mit Raketen, Drohnen und Angriffen auf Zivilisten. Israel sah sich gezwungen, gegen verschiedene Bedrohungen zu kämpfen. Am 8. Oktober entschied die Hisbollah, als angebliche Unterstützung für den Gazastreifen Israel zu beschießen und dies fast täglich. In der Folge musste der Norden von Israel evakuiert werden, bis heute sind zwischen 60.000 und 90.000 Menschen nicht zurückgekehrt.

Am 7. Oktober drangen allein nicht nur Terroristen über die Grenze, sondern auch tausende Raketen wurden auf Israel abgefeuert. Betroffen waren nicht nur Kibbuzim im Süden. Rund 3.000 Hamas-Kämpfer strömten aus dem Gazastreifen nach Israel – nicht um Widerstand zu leisten, wie manche vielleicht glauben, sondern um eine blutige Spur der Zerstörung und des Terrors zu hinterlassen. Vergewaltigung, Raub und Mord begleiteten sie. Selbst die Ermordung von Kindern ist dokumentiert. Schreckliche Szenen spielten sich ab, zu grausam für die Allgemeinheit. Journalist:innen aus aller Welt hatten jedoch die Möglichkeit, dazu Videomaterial zu sichten. Material, das selbst erfahrene Kolleg:innen zum Weinen brachte. Ich habe Videos und Fotos gesehen, die sich seit jenem Tag eingebrannt haben. Ich erinnere mich an ein besonders eindrückliches Bild: Ein gedeckter Esstisch, eine Familie – bis Hamas-Kämpfer auftauchten. Mit Bodycams dokumentierten sie ihre Gräueltaten, folterten die Eltern, bevor sie sie töteten, und gönnten sich danach eine Cola.

Die Hamas verbreitete diese Videos oftmals selbst, versuchte ihre Taten als „Widerstand“ darzustellen. Doch was hat Vergewaltigung und Mord an Zivilisten mit Widerstand zu tun? Die Hamas strebt die Vernichtung Israels an, wie Ismail Hanija, ein führender Vertreter, an jenem Tag deutlich machte. Er rief weitere Terrorgruppen zur Beteiligung auf. Den Juden in Israel sagte er, sie sollen verschwinden, sie seien ohnehin fremd in diesem Land. Als „Al-Aksa-Flut“ bezeichnete die Hamas den Angriff.

Der Krieg und die Auswirkungen

Die Brutalität war und ist immer noch kaum fassbar. Journalist:innen mussten abwägen, was sie berichten können. Was kann man schreiben? Was lieber nicht? Das Abwägen war nicht immer leicht. Auch ich tat mir schwer damit. Wie macht man diese Taten begreifbar? So wirklich kann man dies kaum. Viele Dinge kann man der Allgemeinheit nicht zumuten, schlicht zu grausam. Nach jenem Tag hatte nicht nur Israel als Staat eine Katastrophe erlitten, sondern auch die jüdische Gesellschaft. Schließlich war es der schlimmste Pogrom an Juden seit dem Holocaust. Am Ende war es ein Angriff auf die Seele Israels.

Wenige Stunden nach Beginn des Angriffs meldete sich Premierminister Benjamin Netanyahu und erklärte klar: Israel befindet sich im Krieg. Es war nicht nur ein Terroranschlag, es war eine Kriegserklärung. Netanyahu bereitete die Bevölkerung auf einen langen, schwierigen Konflikt vor. Ein Jahr später ist Israel noch immer im Krieg. Die internationale Schuldzuweisung trifft oft nur Israel, obwohl das Land immer wieder zu Verhandlungen bereit war. Im Tausch gegen Geiseln wurden sogar Terroristen und Mörder freigelassen. Doch Israels oberstes Ziel bleibt die Befreiung der Geiseln und die Vernichtung der Hamas, auch wenn dies wohl nie vollständig gelingen wird.

Die Verantwortung der Medien

Ein Jahr 7. Oktober heißt aber auch viele Fehler in den Medien. Nach dem 7. Oktober waren alle Augen auf Israel gerichtet und dabei sind in vielen Medien Fehler passiert, auch schwerwiegende. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk zeigte sich dabei nicht immer von seiner besten Seite. Ich glaube dabei eher weniger an absichtliche Fehler, zumindest in der großen Breite. Es handelt sich dabei oftmals um die Unkenntnis über Israel und seine Geschichte. Immerhin ist das zugegebenermaßen bei weitem nicht einfach, doch zu einfach sollte man es sich bei ARD, ZDF und Co eben nicht machen.

Wir haben immer wieder Fehler offengelegt und kritisiert. Unsere Hauptkritik bleibt jedoch der Umgang mit den Daten der Hamas und dem Material aus Gaza. Ohne die Zustimmung der Hamas kann man in Gaza nicht journalistisch tätig sein. Die Hamas stellt seit 2006 die Regierung von Gaza, es war die letzte freie Wahl. Wie üblich brauchen Faschisten nur eine Wahl zu gewinnen, um sich damit die Macht zu sichern. Bereits lange vor den Wahlen zog sich Israel im Jahr 2005 aus dem Gazastreifen zurück und beendete die Besetzung, was jedoch offenbar bis heute nicht bei allen Journalist:innen angekommen ist. Danach gab es einen Kampf der Hamas gegen die Autonomiebehörde unter der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation). Alles im Gazastreifen wird seit der Vertreibung und Tötung von Beamten der PLO durch die Hamas kontrolliert. Viele Medien schreiben noch heute nur beschönigt von dem Gesundheitsministerium in Gaza oder den Daten der UN, wenn es um Todeszahlen geht. Am Ende ist der Ursprung dieser Daten jedoch immer die Hamas, was erwähnt werden sollte. Bereits in früheren Konflikten schummelte man bei den Daten.

Nicht zuletzt durch die angebliche israelische Rakete auf die Al-Ahli Klinik und die zahlreichen Medienberichte, die die Angabe der Hamas ungeprüft übernommen haben, ist diese Problematik offenkundig geworden. Tatsächlich handelte es sich jedoch um eine fehlgeschlagene Rakete des Islamischen Dschihad in Palästina (PIJ), die von einem Friedhof abgefeuert wurde. Ein Zeuge, der sich am Abend der Explosion im Krankenhaus aufhielt, berichtete Human Rights Watch, dass „Mitarbeiter des Innenministeriums alle Splitter, die sich auf dem Gelände befanden, mitnahmen“. Ein Mitglied der Hamas erklärte, dass die Überreste „bald der Welt gezeigt“ würden. Bislang ist dies jedoch nicht geschehen. Später erklärte die Hamas: dass „sich die Rakete wie Salz in Wasser aufgelöst hat […] Sie ist verdampft. Nichts ist übriggeblieben“.

Wir haben bereits öfter über die Medienstrategie der Hamas geschrieben. Man füttert die Öffentlichkeit gerne mit Daten und Informationen, will sich so möglichst objektiv zeigen. Nur beeinflusst man eben genau, welche Daten an die Öffentlichkeit gegeben werden. Die Hamas veröffentlicht keine separaten Zahlen für ihre gefallenen Kämpfer und es gibt wiederholt Hinweise auf Manipulationen der Daten. So wurden unter anderem tote Erwachsene als Kinder und Jugendliche dargestellt, oder Frauen erhielten Männernamen. Außerdem wird bei den Opferzahlen nicht zwischen Zivilisten und Terroristen unterschieden. Auch eine separate Erfassung der Opfer durch eigene Raketenangriffe existiert nicht. Schätzungen zufolge schlagen bis zu 30 Prozent der Raketen von Hamas und PIJ bereits im Gazastreifen fehl und explodieren dort.

Die Strategie der Hamas, Informationen über getötete Kämpfer zu unterdrücken und Opferzahlen zu manipulieren, ist ein zentraler Bestandteil ihres Machtapparates. Diese Taktik dient nicht nur dazu, interne Kritik zu unterdrücken, sondern auch, das internationale Bild der Hamas zu kontrollieren und die globale Sympathie für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens zu nutzen.

Hass und Propaganda im Namen Palästinas

Zum Vorabend des Jahrestages gab es bundesweit Demonstrationen von Hamas-Sympathisanten. In Berlin konnte man etwa laute Hamas-Rufe hören. Diese Veranstaltungen werden oft als propalästinensische Demonstrationen bezeichnet, so sehen sich die Akteure wahrscheinlich selbst am liebsten, doch im Grunde sind es lediglich Unterstützer des Hasses. Versteht mich nicht falsch, es gibt auch Demonstrationen, welche sich für den Frieden einsetzen, doch eben nicht diese. Bei den Veranstaltungen wurde Hass recht offen auf der Straße ausgelebt. Man wünschte sich etwa eine Welt vor 1948, also eine Welt ohne Israel. Warum auch immer, denn einen Staat Palästina gab es davor auch nicht. In dem Gebiet des ehemaligen osmanischen Reiches lebten Araber, aber auch Juden. Das Gebiet gehörte keiner Regierungsgesellschaft allein. Neben Judentum und Islam gab es immer auch einige Christen.

Neben den Hamas-Parolen rief man zur Bombardierung von Tel Aviv auf oder die bekannten Ausrufe, dass Palästina vom Fluss Jordans bis zum Meer reichen würde. Es kam auch zum regelrechten Bejubeln des 7. Oktober. Ganz beliebt waren neben den Flaggen Palästinas auch die Flagge des iranischen Regimes. Kinder wurden bei den gestrigen Veranstaltungen auch gerne als Stichwortgeber genutzt. Eines rief etwa „Palästina bis zum Sieg“. Sich an einem Massaker zu erfreuen heißt, den Tod und das Leid von Menschen zu verherrlichen. Gerne wurde vonseiten der Demonstranten verwiesen, dass es bereits vor dem 7. Oktober begonnen hätte. Gemeint ist damit natürlich nur die israelische Seite und die angebliche Schaffung eines kolonialen Projektes. Vergessen wird gerne, dass es die Nachbarn des frisch ausgerufenen Staates Israel waren, welche das Land überfielen und sich das Staatsgebiet nicht nach dem UN-Plan teilen wollten. Einige Araber verließen das Land, oftmals mit dem Ziel, wieder zurückzukommen, jene Menschen und vor allem ihre Nachfahren werden heute als palästinensische Flüchtlinge bezeichnet. Andere blieben und gehören heute zum muslimischen Fünftel der israelischen Bevölkerung. Gerne wird von Israel auch als Apartheidstaat gesprochen, doch dieses Fünftel genießt alle staatsbürgerlichen Rechte – sie sind arabische Israelis.

Die falsche Vorstellung von Apartheid dürfte ihren Ursprung in den Gebieten nach den Osloer Verträgen haben, wo heute noch teils Besatzungsrecht gilt. Für den Staat Israel selbst gilt dies jedoch nicht. Wenn wir schon kurz einen Ausflug in die Geschichte machen: Ursprünglich galten übrigens alle Bewohner des Völkerbundsmandats für Palästina als Palästinenser.

Das Dilemma des Krieges: Gibt es eine Lösung?

Was wir aber generell benötigen, ist eine Handreichung an alle gemäßigten und friedlichen Gruppen. Es gibt sie eben auch: jene Menschen, die um die toten Zivilisten auf allen Seiten trauern und die Gewalt selbst ablehnen. Menschen, die den Krieg kritisieren, aber auch die Taten der Hamas. Es ist nicht immer einfach, auch diese Töne zu finden. Sie gehen in dem Geschrei nach Bomben auf Tel Aviv unter, sind für die Medien nicht immer gut zu fassen.

Ich habe Freude und Bekannte auf allen Seiten des Konfliktes, wenn auch deutlich mehr in Israel. Der Krieg wird von der Mehrzahl als nötiges Übel angesehen. Niemand davon bejubelt das Vorgehen der IDF, auch wenn die meisten meiner Bekannten ihn als notwendig erachten. Wie es weitergehen soll, so nach dem Krieg und wann man überhaupt aus dem Kampf aussteigen kann oder ob man dies jemals kann? In der Frage sind wir uns alle uneins. Es ist die Frage, ob es überhaupt eine Lösung geben kann. Selbst die IDF und die israelische Regierung weiß auf diese Frage keine Antwort. Es ist und bleibt ein Dilemma. Auf allen Seiten verlieren Eltern ihre Kinder an den Krieg, wie man ihn beendet, kann niemand sagen.

Als Journalist bin ich in der günstigen Lage, keine Lösungen liefern zu müssen und kritisieren zu dürfen. Ich kann mir nur einen internationalen Weg vorstellen. Gaza muss entwaffnet werden, die Hamas darf keine Kontrolle mehr haben und eine internationale Koalition müsste Gaza sichern. Es würde Frieden bringen und Sicherheit – für beide Seiten. Es bleibt die Frage, wie setzt man es um und will die Bevölkerung von Gaza dies auch – lässt es die Hamas zu? Ein Paradox bleibt bestehen, gerade für die Anhängerschaft der Hamas. So will man einerseits Frieden, aber andererseits tut man alles für die Auslöschung von Israel und bringt die eigene Bevölkerung in Gefahr, auch weil man diese Bilder benötigt.

Wir können dieses Problem nicht lösen. Ein Paradox lässt sich oftmals auch nicht auflösen – ein Widerspruch, der bestehen bleibt. Es ist wie ein gordischer Knoten. Am Ende bleibt Krieg immer gleich. Es gibt Tage, an denen es schwer ist die richtigen Worte zu finden. Ein solcher Tag ist heute. Was kann man schreiben? Was kann man sagen? Die Ohnmacht kann auch einen Journalisten treffen, wie ein Pfeil in Herz und Hirn.

Quellen:
Eigene Recherchen
Hamas Strategie der Informationskontrolle: Verborgene Verluste in Gaza | obiaushv.de
Gaza: Findings on October 17 al-Ahli Hospital Explosion | Human Rights Watch (hrw.org)
Hamas Fails to Make Case That Israel Struck Hospital – The New York Times (nytimes.com)

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