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Medien und der „Geiselaustausch“

Symbolbild Geiselaustausch

Bereits vor zwei Tagen kritisierte die israelische Botschaft die Verwendung des Wortes „Geiselaustausch“, doch immer wieder fallen deutsche Medien damit negativ auf, auch die üblichen Sperrspitzen der seriösen Nachrichten lagen mit der Formulierung oft daneben. Warum das Wort nicht nur problematisch ist, sondern auch die Verwendung falsch ist und wie sich die Medien blamierten – alles in OBIs Media.

Wer uns schon länger verfolgt, kennt hier auch gelegentliche Medienkritik, ab sofort hat das Format auch endlich einen Namen bekommen. Man könnte meinen, wir haben uns dabei an „In medias res“ orientiert, aber vielleicht ist dies auch nur so eine Erzählung.

Wie oben schon beschrieben haben verschiedene deutsche Medien von einem Geiselaustausch geschrieben oder gesprochen, dies führte zu einer Kritik von der israelischen Botschaft. Viele Menschen würden bei solchen Pannen erst einmal die Springerpresse vermuten, doch weit gefehlt. Beteiligt waren daran unter anderem auch ARD, ZDF, Tagesthemen (ARD), FR und Merkur. Doch was ist an der Verwendung des Wortes „Geiselaustausch“ eigentlich so problematisch und falsch? Ein Austausch suggeriert immer etwas Gleichwertiges, wie den Austausch von Ideen oder der Tauschhandel. Um einen gleichwertigen Austausch handelt es sich schon aus mehreren Gründen nicht.

Israel ist erstens gezwungen, Geiseln gegen Häftlinge zu tauschen und zweitens sollen sie für eine Geisel gleich drei Inhaftierte freilassen. Am 7. Oktober wurden hauptsächlich Zivilisten in den Gazastreifen entführt. Diese Menschen wurden in Israel durch Terrororganisationen gefangen genommen. Aktiv waren dabei unter anderem Hamas und »Islamischer Dschihad in Palästina« (PIJ). Viele dieser Geiseln mussten dabei schreckliche Szenen mit ansehen, teilweise die völlige Auslöschung ihrer gesamten Familie. Eine Vierjährige musste den Tod der Eltern miterleben und konnte unter dem Körper ihres toten Vaters überleben. Sie wurde kurz darauf in den Gazastreifen verschleppt, damals war das Mädchen noch drei Jahre alt. Ihre beiden Geschwister, 10 und 6 Jahre alt, harrten in einem Wandschrank 14 Stunden aus. Das kleine Mädchen kroch unter dem leblosen Körper hervor und rannte zu Nachbarn, wie die »Washington Post« von einer Verwandten des Mädchens erfahren hatte. Die Nachbarn und das Mädchen wurden mit vielen weiteren Zivilisten in den Gazastreifen entführt. Am vergangenen Freitag wurde sie dort vier Jahre alt. „Was sie ertragen musste, ist unvorstellbar“, sagte US-Präsident Joe Biden, über das Mädchen, welches die erste US-Staatsbürgerin unter den Geiseln war, die freigelassen wurde.

Wie kommen solche Formulierungen zustande?

Oft fragt man sich beim Konsum von Artikeln oder Videos: Warum wurde diese oder jene Formulierung gewählt? Eigentlich kann man nur hoffen, dass dies ein Fehler oder Versehen gewesen ist. Würde dies bewusst so formuliert worden sein, müssten sich die zuständigen journalistischen Kollegen schon einige unschöne Fragen gefallen lassen. Eine bewusste Entscheidung kann kaum begründet werden. Die Bedeutung des Wortes Austausch ist im Duden schnell zu prüfen und sollte jedem Kollegen ohnehin bekannt sein. Gerade im Journalismus lebt man auch vom Austausch untereinander. Würde man schlicht nur den Begriff Austausch benutzten, so wäre dies zwar weiterhin nicht elegant formuliert, aber man würde eben Geiseln gegen Inhaftierte tauschen und somit die Bedeutung gerade abdecken.

In den Zeitungen und Sendungen wurde jedoch der Begriff „Geiselaustausch“ verwendet. Eigentlich hätte jemand in der Redaktion feststellen müssen: Geiseln werden gar nicht ausgetauscht, also ist der Begriff völlig falsch. Die Formulierungen sorgten für viel Kritik und dies eben nicht nur durch die israelische Botschaft. Das Erste schrieb bei Twitter: „Ist der Austausch der Geiseln zwischen Israel und der Hamas ein erster Schritt zum Frieden? Der @Weltspiegel_ARD berichtet über die aktuellen Ereignisse – um 18:30 Uhr im Ersten.“

Man wurde durch viele Nutzer auf einen Fehler aufmerksam gemacht, so hieß es etwa vom Ökonom Justus Haucap: „Dass das @DasErste @Weltspiegel_ARD von einem Geiselaustausch spricht, ist starker Tobak und kaum zu ertragen. Welchen journalistischen Standards entspricht das?“
Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der »Jüdischen Allgemeinen«, „Dieser Post ist eine Schande! Welche Geiseln hält Israel denn? Die Hamas verschleppte Babys, Kinder und Greise. Israel hat keine andere Wahl, als Mörder und Terroristen freizulassen, um israelische Zivilisten zu retten. Finde den Fehler.“
Die Botschaft Israels kommentierte dies folgendermaßen: „Es ist traurig, wenn die Rundfunkbeiträge in so eine schlampige Arbeit von @Weltspiegel_ARD, @ARD_Presse gesteckt werden.“

Schlampig ist ein solcher Post mindestens und eben kein Vorbild für das handwerkliche Können. Dass ein solcher Post unkommentiert durch die ARD gelöscht wird, ist wiederum ein anschauliches Beispiel für eine nicht vorhandene Fehlerkultur. Vor einigen Tagen fragte SWR2 Aktuell: „Nahost: Feuerpause – wann kommt der Geiselaustausch?“ Im MDR sprach man gestern davon, dass der „Geiselaustausch weitergeht“. Bei ZDFheute hieß es, bis zum Abändern: „Israel: Feuerpause und Geiselaustausch“. Schon am 14. November schrieb man ebenfalls dort „Hamas-Anführer deuten einen möglichen Geiselaustausch an“ und hier ist der Fehler aktuell immer noch einsehbar. Der Journalist und Fernsehmoderator Mitri Sirin fragte den Reporter nach einem Geiselaustausch (Folge 14.11.2023 | 19:00).

Schaut man sich die ersten Speicherungen von Webseiten an, so stellt man fest, dass die Formulierung „Geiselaustausch“ vielfach verwendet wurde, aber in den vergangenen Tagen überarbeitet wurde. So etwa beim Text der Tagesschau „Der Austausch wird zur Hängepartie“ dieser trug ursprünglich den Titel: „Der Geiselaustausch wird zur Hängepartie“. Eine solche Änderung ist durchaus üblich und normal, schön wäre es jedoch, wenn eine solche Änderung im Text vermerkt werden würde. Bis heute steht dort „Stand: 23.11.2023 13:38 Uhr“ geändert wurde dies am 23. November irgendwann zwischen 18:18 Uhr und 18:47 Uhr. Dank der WayBack Machine lässt sich dies so ziemlich gut einordnen. Fehler zu überarbeiten gehört im Journalismus natürlich dazu, wenn auch die Transparenz manchmal besser sein könnte. Die reine Korrektur eines Rechtschreibfehlers ist, eher weniger spektakulär und benötigt daher kaum eine Erwähnung, doch die Überarbeitung der Überschrift wäre sicherlich interessant gewesen.

Was wäre, wenn es Absicht wäre?

Manche Menschen unterstellen bei solchen Formulierungen einen Vorsatz. Sollte dies so sein, dann hätten wir ein Problem. Manchmal machen sich solche Formulierungen selbstständig. Ein Medium fängt an und die anderen Medien orientieren sich daran. Gerade die Tagesschau, aber auch Tagesthemen, können als Leitmedium bezeichnet werden. Was dort gesendet oder geschrieben wird, hat also starken Einfluss auf die öffentliche Meinung und auch auf andere Massenmedien. Ähnlich, wenn vielleicht auch etwas schwächer, läuft dies mit ZDFheute. Die Sender ARD und ZDF haben auch auf die Medien einen großen Einfluss. Es ist also nicht unbedingt unüblich, sich an den Ausdrücken dieser beide Sender zu orientieren. Würden nun dort Menschen sitzen, welche mit Absicht bestimmte Wörter verwenden und den Diskurs damit lenken könnten, wäre dies problematisch. Dennoch befreit eine Meldung bei ARD oder ZDF einen Redakteur oder Journalisten nicht von seiner Arbeit und schon gar nicht von einer gewissenhaften Prüfung des Inhaltes.

Wichtig ist: Fehler machen wir alle, auch mal handwerkliche. Natürlich müssen die Öffentlich Rechtlichen Sender sich schon hinterfragen: Wie kam es zur Verwendung des Begriffs „Geiselaustausch“ und was können wir besser machen? Im günstigsten Fall hat jemand damit angefangen und alle anderen haben den Begriff genutzt und ihn nicht hinterfragt. Sicherlich glaube ich hier nicht an einer Verschwörung. Wie die Botschaft Israels selbst so schön schrieb: „Es ist traurig, wenn die Rundfunkbeiträge in so eine schlampige Arbeit von @Weltspiegel_ARD, @ARD_Presse gesteckt werden.“ Aus Fehlern kann gelernt werden und das ist die gute Nachricht. Man kann und sollte die Verwendung solcher Begriffe hinterfragen. Erst der öffentliche Aufschrei hat des Öf­te­ren zu einer Änderung geführt, eine wache Öffentlichkeit und die Selbstkorrektur der Medien führten so zu einem Hinterfragen. Schön wäre es nur, wenn solche Fehler nicht immer wieder reproduziert werden würden, sonst zeigen sich Medien nicht gerade von ihrer besten Seite und dies wäre zwar Stoff für uns, aber ebenfalls eine große Nachlässigkeit.

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