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Regierung trödelt beim Aktionsplan für ein inklusives Gesundheitswesen

Symbolbild Regierung trödelt

Symbolbild Regierung trödelt

Bereits am 30. Juni rügte die Staatliche Koordinierungsstelle
nach Art. 33 UN-BRK das Fehlen des Aktionsplans für ein inklusives Gesundheitswesen. Eigentlich hätte dieser bereits Ende 2022 vorliegen sollen…

Regierung erfüllt eigenen Koalitionsvertrag nicht

Bereits im Koalitionsvertrag der Ampel wurde bis Ende 2022 die Erarbeitung eines solchen Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen beschlossen. Bisher wurde die Ampelkoalition dazu nicht tätig. Die Staatliche Koordinierungsstelle
nach Art. 33 UN-BRK, welche die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erleichtern und behinderte Menschen sowie eine breite Zivilgesellschaft in den Prozess einbinden soll, kritisierte dies bereits am 30. Juni 2023.

Durch die Regierung und das verantwortliche Bundesgesundheitsministerium (BMG) wurden bisher noch keine Dokumente vorgelegt oder ein Austausch mit den zu beteiligenden behindertenpolitischen Verbänden begonnen. Die Umsetzung des Koalitionsvertrages wurde von dem Inklusionsbeirat daher angemahnt und zusätzlich forderte man das BMG auf, „zügig das
geplante Vorgehen mit den Verbänden und Selbstvertretungsorganisationen
gemeinsam festzulegen und die eigentliche Arbeit am Aktionsplan aufzunehmen
“. Damit solle insbesondere der „Zugang zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit
Behinderungen“ verbessert werden, so der Beirat weiter.

Problem mit dem Zugang zu Arztpraxen

Im Koalitionsvertrag zwischen den Parteien Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP heißt es „bis Ende 2022 mit den Beteiligten einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen zu erarbeiten“. Dieses Vorhaben wird grundsätzlich vom Inklusionsbeirat begrüßt, weil Menschen mit Behinderung noch heute ein Problem mit dem Zugang zu Arztpraxen oder anderen Gesundheitseinrichtungen haben. Das Problem führe häufig zu deutlich längeren Wegen oder schränke die freie Arztwahl deutlich ein. Bereits bei der hausärztlichen Versorgung berichten Betroffene immer wieder von Problemen bei der Suche nach einer geeigneten Arztpraxis. In einigen Kreisen finden sich keine Hausärzte bzw. Allgemeinmediziner, welche unter anderem einen Zugang für Personen im Rollstuhl bieten oder mit tauben Menschen kommunizieren können.

Schlimmer sieht es hier noch bei Fachärzten aus. Neben Zahnärzte, welche oft keinen barrierefreien Zugang bieten, finden sich die größten Probleme bei gynäkologische oder urologischen Praxen. Oftmals bieten hier nur Krankenhäuser eine Möglichkeit, wenn auch diese meist nur den Zugang zu den Räumen ermöglichen. Auf behinderte Menschen sind die Behandlungsräume und Mediziner:innen kaum ausgerichtet.

Nur 4 gynäkologische Spezialambulanzen/Praxen in Deutschland

Besonderes drastisch ist das Problem bei der gynäkologischen Versorgung. In Deutschland existieren bisher nur vier gynäkologische Spezialambulanzen oder –praxen, welche für Rollstuhlnutzerinnen umfassend zugänglich sind. Brigitte Faber, Projektleiterin bei Weibernetz e.V. sagte dazu: „Das führt in der Praxis zu einer Unterversorgung von Frauen mit Beeinträchtigungen“.

Auch der „Club Behinderter und Ihrer Freunde e.V.“ (cbf) kritisierte diese Form der Unterversorgung bereits mehrfach. 2021 wurde in München eine Sprechstunde für Frauen mit diesem Bedarf eingerichtet. Allein in München leben etwa 4.750 Frauen mit einer sogenannten außergewöhnlichen Gehbehinderung.
Seit 2021 kam keine weitere Praxis dazu.

Kaum Antworten von der Regierung zum Thema inklusives Gesundheitswesen

Das für die Regierung antwortende Bundesgesundheitsministerium war in den Antworten eher wortkarg und gab auf viele Positionen im Fragenkatalog keine Antworten. Erst für den Herbst plane „das Bundesministerium für Gesundheit eine Auftaktveranstaltung, die gleichzeitig den Beteiligungsprozess an der Erarbeitung des Aktionsplans einleiten wird“. Man beruft sich bei der langen Erarbeitungsdauer darauf, dass es für dieses Vorhaben „verlässliche Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem und auch finanzielle Spielräume“ bräuchte. So seinen vorher andere Reformen nötig gewesen, insbesondere genannt wurden „Krankenhausreform, Reform der Notfallversorgung, Reform der ambulanten Strukturen, Weichenstellungen für eine sektorenübergreifende Versorgung, Reformen im Arzneimittelbereich, Pflegereform, Digitalisierungsstrategie“. Bei den „gesetzgeberische Arbeiten“ seien „die Interessen von Menschen mit Behinderung regelhaft mitberücksichtigt“ worden, doch diese Erklärung lässt die fehlende Einbeziehung von Verbänden und Selbstvertretungsorganisationen offen.

Die Beteiligung von betroffenen Menschen sollte in diesem Bereich nicht wieder einmal vergessen werden. Der Input von behinderten Menschen scheint in diesem Bereich zu oft vernachlässigt worden zu sein. Vornehmlich der Zugang für eine niederschwellige und wohnortnahe Versorgung ist viele Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ein Armutszeugnis für eines der weltweit vermögendsten Länder. In vielen Positionen wurde die schon seit 2009 geltende Konvention nicht ausreichend umgesetzt. Egal, ob es sich hierbei um den Zugang zum ÖPNV handelt oder eben der medizinischen Versorgung. Manchmal könnte der Eindruck aufkommen, dass behinderte Menschen für die Regierung eine eher nebensächliche Rolle spielen würden. Besonders die SPD und die Unionsparteien, welche in den vergangenen Jahrzehnten mehrheitlich in der Regierung waren, geben hier ein besonders schlechtes Zeugnis ab. Sei es nun die Verschiebung der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr von 2022 auf 2026, durch die aktuelle Regierung, oder das Festhalten an den Werkstätten (WfbM), trotz Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention.

Quelle:
Eigene Recherche
Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit auf Anfrage von obiaushv.de
Club Behinderter und Ihrer Freunde e.V.
Koalitionsvertrag zwischen den Parteien Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP
UN-BRK
Staatliche Koordinierungsstelle nach Art. 33 UN-BRK

„[…]
vielen Dank für Ihre Anfrage: Der Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen ist ein zentraler Bestandteil der Fortschrittskoalition und es gehört zum Selbstverständnis des Bundesministeriums für Gesundheit, hierfür die notwendigen und entscheidenden gesundheitspolitischen Weichenstellungen vorzunehmen. Für Herbst plant das Bundesministerium für Gesundheit eine Auftaktveranstaltung, die gleichzeitig den Beteiligungsprozess an der Erarbeitung des Aktionsplans einleiten wird. Die Erarbeitung eines so komplexen Vorhabens erfordert verlässliche Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem und auch finanzielle Spielräume, um gezielte Maßnahmen umsetzen zu können. Deshalb werden gleichzeitig dringend notwendige Reformen eingeleitet (u.a. Krankenhausreform, Reform der Notfallversorgung, Reform der ambulanten Strukturen, Weichenstellungen für eine sektorenübergreifende Versorgung, Reformen im Arzneimittelbereich, Pflegereform, Digitalisierungsstrategie usw.). Entsprechende gesetzgeberische Arbeiten laufen auf Hochtouren. Dabei werden bereits konsequent die Interessen von Menschen mit Behinderung regelhaft mitberücksichtigt. So wird die geplante Etablierung von Gesundheitskiosken in sozial benachteiligten Regionen insbesondere auch vulnerablen Gruppen den Zugang zu medizinischen Versorgung erleichtern und ihre Gesundheitskompetenz stärken. Die Reformarbeiten nutzen allen Patientinnen und Patienten, insbesondere auch Menschen mit Behinderungen, und gewährleisten, dass sie sich auch in Zukunft auf sozialen Schutz bei Krankheit und im Pflegefall verlassen können. Dies Reformen sind auch unerlässlich dafür, den Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen auf einer soliden und finanzierbaren Basis aufzubauen. […]“

Antwort vom BMG auf Anfrage von obiaushv.de

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