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Sachleistungen für Asylsuchende: Eine effektivere und kostengünstigere Alternative?

Asylsuchende Symbolbild

Asylsuchende Symbolbild

Wären Sachleistungen für Asylsuchende am Ende eine bessere oder gar günstigere Lösung?

In den vergangenen Tagen ist die Debatte um die Leistungen für Geflüchtete erneut aufgekocht. Besonders die Union stellte öffentlich wirksam eine Forderung nach Sachleistungen auf. Zuvor fiel der CDU-Parteichef Friedrich Merz mit Äußerungen in der Asyldebatte auf.

Merz und die Asyldebatte

So behauptete er, es wären 300.000 Asylsuchende abgelehnt und würden nicht ausreisen. Außerdem würden diese die volle Heilfürsorge bekommen. Die Behauptung erwies sich allerdings als Falschbehauptung. Asylsuchende erhalten in Deutschland nicht dieselben Leistungen, wie versicherte Personen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Im Paragraf 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) zu Leistungen bei Krankheit heißt es: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die […] erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Diese Aussage wird etwas später im Text noch deutlicher eingeschränkt: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Die von Merz genannte Anzahl von Ausreisepflichtigen ist obendrein nicht korrekt. Zum 30. Juni 2023 gab es 280.000 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Allerdings können davon 225.000 Menschen nicht abgeschoben werden, sie gelten als geduldet. Einen solchen Status erhält man nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen. Ein Beispiel dafür ist die Trennung von der Familie, bei Minderjährigen. Eine Ausbildung oder schwere Krankheit wären weitere Beispiele. Ausreisepflichtig sind demnach rund 54.000 Personen und diese Zahl gilt gesamt, also nicht nur für das Jahr 2023.

Sind Sachleistungen besser?

Erst einmal muss man unterscheiden, was man mit Sachleistungen genau meint. Klassisch versteht man darunter Leistungen, welche mit Sachmitteln erfüllt werden. In der Asyldebatte geht es häufig darum, keine Leistungen mehr mit Bargeld, genauer gesagt dem direkten Zugriff auf Geldmitteln, zu erfüllen. Bisher werden die zustehenden Leistungen außerhalb von Sammeleinrichtungen, wie die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, mehrheitlich mithilfe von Geldmitteln erbracht.

In der öffentlichen Debatte selbst geht es immer wieder um eine Streichung der gesamten Geldmittel. Stattdessen sollen Sachleistungen ausgegeben werden. Hier gibt es erst einmal zwei grundsätzliche Varianten. Eine Ausgabe von Sachen, wie Lebensmittel; Gegenstände der Hygiene; Spielzeug etc. wären eine Möglichkeit und eine weitere wäre die Umstellung auf Guthabenkarten. Beide vermeintlichen Lösungen haben jedoch Probleme, welche im weiteren Text beleuchtet werden.

Ausgabe von Sachleistungen

Für eine Ausgabe von Sachleistungen müsste erst einmal ein völlig neues System geschaffen werden. Die Verteilung und Beschaffung würden zudem weitere Kosten verursachen. Man würde zum einen Personal benötigen und zum anderen gebe es dann einen Bedarf an Lagerflächen. Von rechter Seite hört man oft das Argument, die Asylsuchenden könnten die Arbeit erledigen. Eine solche Argumentation ist dabei natürlich viel zu kurz gegriffen. Es würden immer noch Menschen benötigt, welche die Verwaltung organisieren würden und sich damit auch um die Dokumentation kümmern. Aus rein logischen Gründen bräuchte es hier deutschsprachiges Personal. Zudem bedarf es in bestimmten Bereichen Schulungen, etwa zur Hygiene.

Neben der Beschaffung, Lagerung und Sortierung würde man noch die Ausgabe organisieren müssen. Man müsste bei dieser Variante viele neue Verteilungszentren aufbauen. Insgesamt also eine sehr kostspielige Lösung, welche nicht nur extrem unwirtschaftlich wäre, sondern auch umwelttechnisch reiner Blödsinn.

Ausgabe von Guthabenkarten

Gerade aus der Union gibt es immer wieder den Vorschlag zu sogenannten Guthabenkarten. Wirtschaftlich gesehen wäre es der Austausch des Zahlungsmittels, vom Euro zur Guthabenkarte.
Die FDP drängt mittlerweile auch zu Prepaid-Bezahlkarten. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr äußerte gegenüber der »BILD«-Zeitung die Erwartung, dass die Bundesländer bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November den Weg für Prepaid-Bezahlkarten freigeben werden.
„Die irreguläre Migration muss runter, dafür müssen Bargeldauszahlungen zügig gestoppt werden“, sagte er weiter.

Markus Söder (CSU) hatte in der Vergangenheit immer wieder eine solche Änderung angekündigt, diese jedoch nicht umgesetzt. Eventuell auch, weil eine solche Umstellung neue Probleme schaffen würde.

Was könnte man mit der Umstellung erreichen?

Immer wieder wird behauptet, Asylsuchende würden ein Teil des Geldes in ihre Heimat senden. Sollte dies so sein, ist die Umstellung auf eine Prepaid-Bezahlkarte auch keine Lösung. Es würde es lediglich etwas komplizierte machen. Entweder man findet jemanden, welcher einfach eine Barauszahlung des Guthabens durchführt und sich dabei wahrscheinlich einiges für diese Dienstleistung einstecken würde oder gekaufte Güter werden mit einem kleinen Verlust weiterverkauft und das Geld dann in die Heimat gesendet.

Zudem stellt sich die Frage, wie möchte man es praktisch umsetzen? Darf das Guthaben nur für bestimmte Dinge ausgegeben werden – doch wie will man dies erreichen? Soll das Guthaben an ein Guthabenkonto überwiesen werden oder nutzt man ein ähnliches System wie Geschenkkarten?

Für die Ausgabe der Guthabenkarten und die Erstellung eines solchen Guthabensystems dürfte es wiederum Personal und Geld benötigen. Natürlich ließ sich einiges automatisieren, aber ohne höhere Kosten geht es nicht. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), erkennt diesen deutlichen Mehraufwand sogar an, doch man glaubt in der CDU weiterhin an angeblichen Pull-Faktoren. Gegenüber der »BILD«-Zeitung sagte er: „Wir sprechen uns für einen verstärkten Einsatz von Sachleistungen anstelle von Geldleistungen aus, auch wenn der Verwaltungsaufwand dafür höher ist“.

Die Grünen sehen eine Umstellung kritisch und verweisen dabei auf den Verwaltungsaufwand, zudem bezweifelt man den Pull-Faktor Bargeld. Fraglich könnte außerdem die Akzeptanz dieser Karten im Handel sein. Geflüchtete werden auch in Dörfern untergebracht, wo es zwar Bäcker und Fleischer geben mag, doch akzeptieren diese später auch Guthabenkarten? Was bei einer normalen Kredit- oder Bankkarte schon problematisch werden kann, dürfte bei einer Prepaidkarte sicherlich ebenso Probleme aufkommen.

Interessent dürfte auch die Integrierung eines solchen Bezahlsystems generell sein. Besonders, wenn man eine eigene Karte entwickeln wollte und nicht auf die großen Player setzt. Am Ende würde jedoch jedes Unternehmen für die Erstellung Geld wollen – egal ob eine Art Prepaid-Bankkarte oder einer Geschenkkarte ähnlich. Wobei gerade die Option Geschenkkarte deutlich aufwendiger für den Handel sein könnte, gerade für kleinere Unternehmen wie Bäcker, Fleischer und CO.

Was sind Pull-Faktoren?

Zuerst sollte man wissen, dass der Begriff auf das „Push-Pull-Modell der Migration“ von Everett S. Lee aus zurückgeht. Entwickelt wurde es in den 1960er-Jahren. Migration sei nach dem Modell ein Prozess, in welchen Menschen auf ihren ursprünglichen Lebensraum „weggedrückt“ werden (engl.: to push). Daneben kann es noch den „anziehenden“ Faktor geben (engl.: to pull).

Auf der Push-Seite gibt es Erwerbslosigkeit, Armut, Hunger, soziale Ungleichheit, hohe Steuern, mangelnde Infrastruktur, begrenzte Landressourcen, Überbevölkerung, bewaffnete Konflikte, autoritäre Herrschaft, Misshandlung, systematische Gewalt, Völkermord, Verletzung grundlegender Menschenrechte, Benachteiligung, Unterdrückung und ökologische Katastrophen.

Auf der Seite der Pull-Faktoren führt man angenehme Zustände oder bessere Lebensbedingungen auf. Hier findet man Frieden, Freiheit, Sicherheit, Toleranz, Rechtssicherheit, starke Wirtschaft, Bildung, Gesundheitssystem, Sozialleistungen und so weiter auf.

Aus dem neutralen Begriff Pull-Faktor ist viel mehr ein Schreckgespenst geworden, welches durch die Politik in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Dadurch wurde das Wort allerdings zu einer Art von Schreckbild, was immer wieder durch konservative und rechts-gerichtete Politiker:innen benutzt wird. Die neue Bedeutung ist also Angst. Gerade Medien aus dem Hause Springer verwenden den Begriff dementsprechend:

Welche Auswirkung aber hat nun die europäische Seenotrettung auf diese Geschäfte? Professor Tandian aus dem Senegal räumt indirekt einen Pull-Faktor ein. Der Wissenschaftler bezeichnet die Boote als „weiteres Transportmittel für die Migranten“. 

Welt.de

„Die Politik kann und soll gern darüber diskutieren, bis zu welchem Alter wir ALLE Kinder, natürlich samt Eltern, in Deutschland aufnehmen. Sie kann diskutieren, wie wir verhindern, dass daraus ein ‚Pull-Faktor‘ wird.“ 

Bild.de

Letztlich reiht sich das Wort perfekt in die Erzählungen der AfD ein. Es ist zu einem Schlagwort in der unwürdigen Asyldebatte verkommen. Pull-Faktor Nummer eins wäre damit ja eindeutig die Aufnahme von Flüchtlingen. Wer auch immer in einer Alltagsdiskussion den Begriff benutzt, argumentiert prinzipiell letztlich gegen Geflüchtete. Der ehemalige neutrale Fachbegriff ist somit zu einem Begriff der Angst und Verzerrung der Debatten geworden. Europa baut sich weiter als Festung aus, der Begriff wird nur zu einem Helfer der Politik degradiert.

Man sieht sich oftmals nicht der Menschlichkeit verpflichtet und argumentiert gegen verbriefte Rechte, will wieder den Schutz von Asylsuchenden angreifen. Am Ende geht man so der AfD und den Rechtsradikalen allgemein auf dem Leim. Auch wenn wir einen Pull-Faktor erkennen, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass niemand einfach so sein Land verlassen würde und sich auf eine gefährliche Reise begibt. Krieg, Terror, Völkermord und so weiter sind als Push-Faktoren deutlich gewichtiger.

In der Logik der Asylangst wird aus allem ein Pull-Faktor. Menschlichkeit, Menschenwürde, Menschenrechte, Rettung von Ertrinkenden, Einhaltung der Flüchtlingskonvention und vieles mehr wird somit zu Ausländerangst degradiert. Die Errungenschaften des Humanismus – Die Kämpfe um die Freiheit in Europa und so viel mehr wird damit infrage gestellt. Was ist dann der nächste Faktor, welcher angegriffen wird? Gesundheit? Freiheit? Wer weiß es schon …

Die EU und Deutschland untergraben mit den Diskussionen um Pull-Faktoren und der damit transportierten Angst ihre Stellung in der Welt. Es ist ein falsches Signal an China, Russland, Saudi-Arabien und all die Staaten, welche sich aus der Festung Europa immer wieder den Vorwurf der Menschenrechtsbrüche anhören müssen. Doch die Politik in der EU sägt selbst fleißig am Ast der Menschenrechte, weil sonst kommen bestimmt Geflüchtete und wollen Menschenrechte nutzen. Ein fatales Signal an uns und die Welt sowie eine Zerstörung der Glaubwürdigkeit.

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