Der Wahlkampf in Bayern und Hessen geht langsam aber sicher dem Ende entgegen. Einige Wählerinnen und Wähler haben ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben. Bisher haben wir die Umfragen ignoriert.
Wahlumfragen – Macht oder Mythos? In unserem ausführlichen Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf die Rolle von Umfragen im Wahlkampf.
Haben Umfragen einen Einfluss?
Die Rolle und Unsicherheit von Wahlumfragen
Wer kennt es nicht, noch kurz vor der Wahl werden Umfragen veröffentlicht, doch ist das überhaupt sinnvoll? Die ARD veröffentlicht ihre letzte Umfrage 10 Tage vor der Wahl, auch um nicht die letzten Tage vor der Wahl noch eine Beeinflussung der Wählerschaft durchzuführen. Andere Institute und Medien beteiligen sich aber sehr bereitwillig an einem Pferderennen. Ein Punkt rauf, ein Punkt runter, wo steht Partei X oder Y. Welchen Wert hat eine solche Berichterstattung eigentlich?
Seit Wochen gibt es zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen gefühlt täglich neue Umfragewerte.
Die bekanntesten Institute dürften dabei die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest dimap sein. Diesen Sonntag findet jeweils in den beiden Bundesländern die Landtagswahl statt. Zu den Bundestagswahlen lässt sich klar belegen, dass die Berichterstattung um die Wahlumfragen deutlich zunahmen.
Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim, stellte in einer Studie fest: „Zwischen 1980 und 2017 hat sich die Berichterstattung über Wahlumfragen verzehnfacht.“ Für die Analyse wurden 3.000 Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung und der Welt ab 1980 betrachtet. Seine Arbeit konzentrierte sich dabei jedoch auf die Bundestagswahlen.
Klar ist allerdings schon länger, dass die Wahlumfragen keine exakten Voraussagen sind und vielmehr nur einen Trend aufzeigen können. Man könnte sich daher schon fragen, welchen Sinn solche Umfragen eigentlich erfüllen sollen? Meist geht es dabei eher, um die Abbildung eines Trends oder darum, die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse der Wählerschaft nachzuzeichnen. Gerade die Umfragen zu der AfD haben oft beachtlich von den eigentlichen Ergebnissen abgewichen. Für eine Abweichung der Umfragen von dem Wahlausgang gibt es eine Vielzahl an Erklärungen. Ein Beispiel wäre die Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt. Die Umfrage des Instituts INSA, welche im Auftrag der »BILD«-Zeitung stattfand, sah die CDU bei 27 Prozent. Zwei Tage später holte man dort allerdings 37,1 Prozent. Das ZDF ermittelte mit der Forschungsgruppe Wahlen am 3. Juni 2021 9 Prozent für die Grünen, doch am Ende waren es nur 5,9 Prozent. Natürlich gibt es auch positive Beispiele, wie die Umfragen Wahl zum Regionspräsidenten in Hannover im Jahr 2021, dort gab es im Durchschnitt nur eine Abweichung von 0,6 Prozentpunkte zwischen Umfragen und Ergebnis.
Herausforderungen und Anpassungen in der Welt der Wahlumfragen
Umfragen und die Veröffentlichung dieser können bestimmte Kreise zur Wahl mobilisieren oder sogar eine Abänderung der Wahlentscheidung bewirken. Für die Umfragen gibt es außerdem das Problem des Unsicherheitsfaktors Briefwahl. In den vergangenen Jahrzehnten passten sich die Institute immer wieder an die veränderten Situationen an. Ein Problem stellt etwa die Bereitschaft zur Teilnahme an solchen Umfragen dar oder wie diese durchgeführt werden. Bis heute gibt es Institute oder beauftragte Unternehmen, welche die Umfragen per Wahl von Festnetznummern durchführen. Solche Ergebnisse dürften natürlich deutlicher von einem Ergebnis abweichen, besonders wenn es sich um eine eher jüngere Wählerschaft handelt. Die großen und wichtigen Institute setzten auch heute noch aufs telefonische Befragen, aber dort ist auch der Mobilfunk berücksichtigt. Teilweise kommen auch Online-Lösungen zum Einsatz. Je nach Aufbau der Umfrage kann es hier aber deutliche Probleme geben. Setzt man auf eine Online-Lösung mit dem Anreiz einer Belohnung, kann es viele falsche Ergebnisse geben. Manche wollen vielleicht einfach nur die Belohnung abgreifen und andere beabsichtigen keine weiteren Daten anzugeben. Die Wählerschaft der Parteien ist zudem sehr unterschiedlich bereit, an Umfragen teilzunehmen. Das Institut für Demoskopie Allensbach bevorzugt nach wie vor persönliche Gespräche, während INSA vorwiegend auf Online-Befragungen setzt.
Die Auswertung der Rohdaten soll die Lösung für Probleme der Institute sein. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist die Beurteilung deutlich komplizierter geworden. Zum einen wird abgeprüft, wer sich mit seiner Entscheidung wirklich sicher ist und wer eventuell noch umschwenken könnte. Beachtet werden auch Ereignisse, welche die Wahlentscheidung beeinflussen können, wie der sogenannte „Laschet-Lacher“ vom 17. Juli 2021. Armin Laschet lachte während einer Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Flutgebiet in Nordrhein-Westfalen. Anschließend sind die Umfragewerte stark eingebrochen.
Besonders berücksichtigen müssen die Institute, dass ein Bekenntnis zur AfD von Befragten öfter verschwiegen wird oder diese Wählerschaft gar nicht teilnimmt. Ein Problem tritt dann auf, wenn ein Briefwähler seine Stimme bereits abgegeben hat, aber bei der Befragung eine andere Entscheidung mitteilt. Die Briefwahl wird dabei immer beliebter und dies stellt für die Institute ein Problem dar. Zur Bundestagswahl 2021 haben 47,3 Prozent die Briefwahl genutzt, sicherlich auch aufgrund der Corona-Pandemie. Die Wahl 2017 hatte einen Anteil von 28,6 Prozent an per Brief Wählende.
Selbst bei allen Anpassungen bleiben Umfragen lediglich eine Annäherung an das Wahlergebnis, und weder repräsentative Befragungs-Panels, sozial- und politikwissenschaftliche Tools, Rechenprozesse noch jahrzehntelange Erfahrung können daran etwas ändern.
Die Macht der Wahlumfragen?
Laut Brettschneider habe sich der Anteil in der Bevölkerung, welche Wahlumfragen betrachten, zwischen 1957 und 2002 von 17 auf 75 Prozent erhöht. Kritisch betrachtet werden Umfragen besonders kurz vor dem Wahltag selbst. In steigender Taktzahl werden von verschiedenen Instituten Ergebnisse veröffentlicht.
Das Wahlverhalten kann so kurz vor der Wahl besonders beeinflusst werden. Gerade die unentschlossene Klientel könnte so indirekt beeinflusst werden. Manche Medien überbieten sich in der Schlagzahl der Veröffentlichungen über Wahlumfragen geradezu. Verboten sind solche Berichte in Deutschland jedoch nicht, auch wenn es dazu anderslautende Berichte im Netz geben mag.
Verboten ist lediglich die Veröffentlichung von Ergebnissen „von Wählerbefragungen im Zeitraum ab Stimmabgabe bis zur Schließung der Wahllokale um 18.00 Uhr“, dies gilt nach dem Bundeswahlgesetz. 1 In Bayern gilt ähnliches, nach Artikel 12 des Landeswahlgesetzes: „Vor Ablauf der Abstimmungszeit dürfen Ergebnisse von Befragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Abstimmungsentscheidung nicht veröffentlicht werden“. Vergleichbares gilt ebenso in Hessen: „Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig“.
Andere Länder haben eine deutlich längere Sperrfrist, so etwa in Italien, Griechenland und der Slowakei, dort liegt die Frist bei 15 Tagen vor der Wahl. Luxemburg sieht eine fünftägige Sperrfrist vor und in Frankreich sind es immerhin noch zwei Tage. Die Frage ist natürlich, ergibt das Sinn? Müssten Radio, Fernsehen und andere journalistische Inhalte nicht auch als Beeinflussung gewertet werden und wie sieht es aus mit den Äußerungen in sozialen Medien?
Wichtiger als ein Verbot von Umfragen oder der Veröffentlichung der Ergebnisse, dürfte eine Einordnung dieser sein. Die Erhebung der Zahlen sollte dabei auf wissenschaftlichen Standards beruhen und möglichst alle Wählerschichten abdecken. Gefordert sind hier insbesondere Journalistinnen und Journalisten.
Gerade bei knappen Ausgängen, welche durch Umfragen vorausgesagt werden, dürfte der Einfluss von Umfragen besonders hoch sein. Die Motivation zur Wahl selbst dürfte dadurch steigen, so hat jede Stimme dann eben direkten Einfluss auf die Wahl, so der mögliche Gedankengang bei der Wählerschaft.
„Diese mobilisierende Wirkung ist sehr plausibel“, meinte Brettschneider zu seiner Studie aus 2021.
Der sogenannte Underdog- bzw. Mitleidseffekt klingt zumindest logisch. Hier schlagen sich Menschen auf die Seite der in Umfragen zurückliegenden Parteien.
Nachgewiesen ist der Effekt jedoch nicht, so Brettschneider. „Bei den Bundestagswahlen 2005, 2009, 2013 und 2017 gaben jeweils weniger als 5,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler (2017: 3,5 %) an, dass für ihre Wahlentscheidung Umfragen eine große Rolle gespielt hätten.“
Für Brettschneider rechtfertigen solche Effekte jedoch kein Veröffentlichungsverbot für Umfrageergebnisse.
„Müsste man dann nach der gleichen Denkweise nicht auch Facebook, Twitter und Co. vor Wahlen verbieten? Und müssten Radio, Fernsehen und Zeitungen dann ihre Arbeit vor Wahlen einstellten? Schließlich beeinflussen sie alle ebenfalls die Meinungsbildung der Wählerinnen und Wähler. Die Vorstellung, es gebe die ‚reine‘ Wahlentscheidung, die Menschen ohne Informationen von außen treffen, ist wirklichkeitsfremd und naiv.“
Professor Brettschneider – „Studie zum Wahlkampf: Wahlumfragen verbieten? Professor Brettschneider lehnt das ab“
Sicherlich lässt sich eine Beeinflussung nicht direkt messen, klar ist natürlich, die Umfragen stehen nicht isoliert. Menschen orientieren sich oft aneinander. Es ist für uns als Spezies völlig normal, den eigenen Standpunkt immer wieder mit den Entscheidungen der anderen Artgenossen abzugleichen. Den alleinigen Einfluss auf die Wahlentscheidung gibt es dabei nicht. Vielmehr treffen wir unsere Wahl anhand von vielen Faktoren. Sicherlich dürften Berichte in den klassischen Medien und Umfragen einen gewissen Effekt haben, doch persönliche Beziehungen stellen sicherlich einen größeren Wert dar.
Die eigene Politisierung dürfte sicherlich den größten Wert bei alldem haben. Eigene Ansichten zur Politik reifen sicherlich auch im Alter und verfestigen sich dabei immer stärker. Junge Menschen schwanken bei ihren Entscheidungen häufiger, andere sind in einer Partei verwurzelt und werden daher schon eher ihre Partei wählen. Schwierig ist die Frage bei der enttäuschten und unentschlossenen Wählerschaft.
Horse-Race-Journalismus: Zwischen Rennen und Berichterstattung
Fraglich also, ob man einen bestimmten Einfluss je halbwegs genau feststellen kann. Sicherlich eine interessante Herausforderung. Die Aufgabe für den Journalismus ist dabei klar, berichten und einordnen. Die Einordnung von bestimmten Entwicklungen und Ergebnissen ist dabei eine Kernaufgabe. Sicherlich wäre es auch hilfreich von der Pferderennen Mentalität abzuweichen, welche bei einigen Medienhäusern herrscht, und sicherlich auch den Journalistinnen und Journalisten mehr Zeit für die Recherche zu ermöglichen. Es bedarf also eher einer gewissen Gelassenheit, statt Horse Race typischen Ansatz, der den Fokus auf dem Wettkampf- oder Rennaspekt von politischen Wahlen setzt, anstatt auf den politischen Inhalten oder den Qualifikationen der Kandidaten. Wir müssen weg von einer Konzentration auf die Umfrageergebnisse, auch wenn die Meinungsumfragen und der aktuelle Stand der Kandidaten in Bezug auf Popularität und Wahlaussichten sicherlich beliebt sein mögen.
Horse Race bzw. Horse-Race-Journalismus meint dabei eine Berichterstattung, welche der Berichterstattung über ein Pferderennen ähnelt. Medien berichten, welcher Kandidat vorn liegt, wer in der Gunst der Wähler gestiegen oder gefallen ist und wer als „Gewinner“ oder „Verlierer“ in der politischen Arena betrachtet wird.
Die Art dieser Berichterstattung führt langfristig dazu, dass die politischen Diskussionen und wichtige politische Themen vernachlässigt werden, da der Fokus auf den tagesaktuellen Entwicklungen im Wahlkampf liegt. Kritiker dieser Form des Journalismus sehen hier nur einen Beitrag zur Förderung einer oberflächlichen Berichterstattung, welche die Wählerschaft von eigentlichen politischen Inhalten ablenkt.
Ein Beispiel dafür lieferte unter anderem der WDR mit seinem oberflächlichen Beitrag „Wer 2022 in der Landespolitik gewonnen und verloren hat“. 2 Im Grunde handelt es sich dabei um eine Bildgalerie, welche Politiker:innen zeigt.
Die Galerie ist dabei in der Kategorie Nachrichten einsortiert, doch einen wirklichen Nachrichtenwert gibt es nicht. Es geht hier nur um Gewinner und Verlierer. Eine politische Einordnung oder wofür die Politiker:innen stehen sucht man vergebens. Solche Rankings werden gerne von verschieden Medien durchgeführt, auch t-online beteiligte sich mit einem Beitrag. Allerdings war man bei t-online.de deutlich ausführlicher. Der Charakter der Einordnung nach Sieger und Verlierer findet sich dennoch im Beitrag „Wer kommt, wer geht? Ein politisches Ranking für 2022“. 3 Immerhin ist der Gastbeitrag als Meinungs-Kolumne markiert, auch wenn er in der Kategorie Nachrichten aufgeführt ist. Der Beitrag könne „zum Nachdenken anregen“ und dies kann natürlich sein.
Ganz falsch mag diese Art der Berichterstattung nicht sein, wenn diese den Stand der Wahlkämpfe und die politische Dynamik aufzeigt und nicht auf Kosten der tiefgehenden politischen Berichterstattung geht.
Negativ sind oft Berichte über Umfragen selbst, weil dort Einordnungen fehlen und nur die Ergebnisse der Umfragen selbst, wie beim Pferderennen, genutzt werden. Ein Bericht über die Wahlergebnisse selbst ist dabei natürlich wichtig, hier ergibt sich von allein ein Nachrichtenwert. Die Abwägung zwischen Rennen und Berichterstattung ist dabei nicht immer eine einfache Aufgabe.
Beitragsbild ist ein Symbolbild