Merz vs. Realität: Eine kritische Analyse seiner Asylbewerber-Aussage - Stimmts?

Merz und die Asyldebatte: Was sagen die Zahlen und Fakten wirklich?

VonSteven Oberstein

28. September 2023
Symbolbild 13

Friedrich Merz sorgte mit seiner kontroversen Aussage über Asylbewerber und Zahnersatz für Schlagzeilen. Doch was steckt wirklich hinter seinen Behauptungen? Wir werfen einen genauen Blick auf die Fakten und Zahlen, um die Wahrheit zu enthüllen. Erfahren Sie, was die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Deutschland wirklich bedeutet und wie seine Äußerungen mit der Realität in Einklang stehen.

Ein Stimmts?

Was sagte Merz genau?

In einer Talkshow des Fernsehsenders »WELT« (hundertprozentige Tochtergesellschaft der Axel Springer SE) provozierte der Chef der Christlich Demokratischen Union mit umstrittenen Aussagen zu Asylbewerbern. Die Sendung hatte das Thema „Migrationskrise“. Laut Merz müsse man über Pull-Faktoren sprechen, damit bezeichnet man bestimmte Faktoren, welche angeblich die Migration verstärken würden. Es soll gewissermaßen eine Lenkungseigenschaft gegenüber den Migrationsrouten haben. Beispiele dafür sind eine hohe Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze oder Bildungsmöglichkeiten.

Laut Merz würde dies dazu führen, dass „über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz Europa nach Deutschland kommen“. In der Sendung selbst nannte Merz allerdings einen ganz anderen Sektor. Die medizinische Versorgung, sei nach seiner Ansicht ein solcher Faktor. Ganz speziell nannte er das Thema Zahnersatz bzw. -versorgung.

„Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

Friedrich Merz in der Sendung von »WELT«

Stimmen seine Zahlen?

Neben der Frage, ob die Aussage zu der zahnärztlichen Versorgung stimmt, sollte man sich erst einmal auf die Zahlen zu den Geflüchteten konzentrieren. Dieses Jahr wurde durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bisher 154.000 Asylanträge bearbeitet, davon wurden gut die Hälfte positiv beschieden. In diesen Zahlen werden die Ukrainischen Geflüchteten nicht erfasst. Den größten Zustrom aus der Ukraine gab es jedoch letztes Jahr.

Auf eine kleine Anfrage der Linken teilte die Bundesregierung mit, in Deutschland gab es zum 30. Juni 2023 etwa 280.000 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Allerdings können davon 225.000 Menschen nicht abgeschoben werden, sie gelten als geduldet. Einen solchen Status erhält man nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen. Ein Beispiel dafür ist die Trennung von der Familie, bei Minderjährigen. Eine Ausbildung oder schwere Krankheit wären weitere Beispiele. Ausreisepflichtig sind demnach rund 54.000 Personen und diese Zahl gilt gesamt, also nicht nur für das Jahr 2023.

Laut der Drucksache 20/81821 des Deutschen Bundestages setzen sich die Zahlen wie folgt zusammen:

  • Fehlende Reisedokumente: 56.809
  • Ungeklärte Identität: 25.408
  • Familiäre Bindungen zu anderen Geduldeten: 23.053
  • Dringende humanitäre oder persönliche Gründe (z. B. Beendigung der Schule/Ausbildung; Betreuung kranker Familienangehöriger): 10.098
  • Ausbildungsduldung (Anspruch): 4.494
  • Beschäftigungsduldung (Regelanspruch+Familienangehörige): 3.382
  • Abschiebestopp für bestimmte Gruppen oder in bestimmte Staaten: 3.391
  • Medizinische Gründe: 2.651
  • „Konkrete Maßnahmen“ zur Abschiebung stehen bevor: 4.991
  • Folgeantrag gestellt: 5.926
  • Unbegleitete Minderjährige: 2.867
  • Sonstige Gründe: 76.637

Probleme bei der ärztlichen Versorgung?

Wie sieht es jedoch bei der ärztlichen Versorgung aus? Gibt es längere Wartezeiten durch diese Menschen?

Schauen wir uns also den Anspruch von Asylbewerbern an:

Grundsätzlich haben Geflüchtete, welche einen Antrag auf Asyl gestellt haben und als Asylbewerber gelten, Anspruch auf die gesundheitliche Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Im Gegensatz zu Bürgern der Bundesrepublik haben diese Menschen nur einen sehr eingeschränkten Versorgungsanspruch. Das spüren Geflüchtete deutlich, sie können nicht einfach zu einem Arzt gehen und verfügen in Deutschland auch nicht über eine Gesundheitskarte.

Auf Twitter teilte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit: „Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden.“ Die genaue Regelung dazu findet sich im Paragraf 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) zu Leistungen bei Krankheit heißt es: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die […] erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Diese Aussage wird etwas später im Text noch deutlicher eingeschränkt: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Ist die Wartezeit von 18 Monaten verstrichen, sieht die Regelung etwas anders aus. Ab diesem Zeitraum werden auch Asylsuchende von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hält diese Information auf der eignen Homepage bereit.

Einige Bundesländer bieten nach Verlassen der Erstaufnahmeeinrichtungen, wenn die Geflüchteten den Gemeinden zugewiesen wurden, eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). Flächendeckend ist dies in Berlin, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Thüringen der Fall (Stand 2022).2 Zuständig ist ansonsten in der Regel das örtliche Sozialamt. Notfallbehandlungen werden durch den jeweiligen Kostenträger übernommen.

Behördendschungel und Behandlungsscheine 

Aus seiner Zeit als Helfer für Geflüchtete kennt Frank Meier* die Probleme mit den Regelungen. Selbst bei Zahnschmerzen war es nicht immer einfach. In Deutschland gibt es auch hier einen Dschungel an verschiedenen Regelungen. Zunächst sind die Länder zuständig und müssen die entsprechenden Kosten zahlen, später geht dies jedoch auf die Gemeinden über. Wie die Versorgung sichergestellt wird, regelt jede Ebene selbst.

In der Landesaufnahmeeinrichtung, in welcher Frank tätig war, gab es ab einem bestimmten Zeitraum eine hausärztliche Versorgung auf dem Gelände selbst. Hier konnten die Menschen sehr einfach Hilfe erhalten, doch für alle weiteren Leistungen wurde es schon deutlich komplizierter. Hier musste man einen sogenannten Berechtigungs- oder Behandlungsschein beantragen. An diesen zukommen, war nicht immer einfach. Das Formular erhielt man zwar vor Ort, aber nicht immer in der richtigen Sprache, so Frank. Einige sollen die Dokumente nicht verstanden haben oder waren nicht in der Lage, es entsprechend den Vorgaben auszufüllen.

Für gewisse Gruppen war es auch schwer an einen Dolmetscher zu gelangen, was ich aus meiner eigenen Zeit als Helfer für Geflüchtete kenne. Hat man das Formular ausgefüllt, entscheidet die Behörde über die medizinische Behandlung und legt auch deren Umfang fest. Bei der Entscheidung ist oft kein Arzt eingebunden, dies zeigten immer wieder Gespräche mit Betroffenen oder Mitarbeitern.

Die Behörde ist auch berechtigt, einen bestimmten Behandler vorzuschreiben. Weitere Einschränkungen kann die Behörde bei den Leistungen vermerken. Oftmals sind diese Behandlungsscheine nur ein Quartal gültig.

Frank erinnert sich besonders häufig an einen Fall eines älteren Mannes, welcher die Flucht von Syrien nach Deutschland geschafft hatte. Er solle voller Hoffnung auf dieses Land geblickt haben, doch ein hartnäckiger Husten wollte einfach nicht verschwinden. Zu dieser Zeit gab es noch keinen Arzt auf dem Gelände und die Behörde soll den Husten anfangs nicht so ernst genommen haben. Am Ende stellte sich heraus, dass der Mann Krebs hatte. Die Lunge war betroffen. „Im Grunde kam er zum Sterben nach Deutschland. Man konnte einfach nichts mehr machen, doch die größte Schande war die schlechte Versorgung. Wir konnten uns in der LAE [An. der Redaktion: Landesaufnahmeeinrichtung] kaum um ihn kümmern. Er hätte in ein Hospiz gehört. Erst nach Protesten unsererseits kam es dazu.
Wenige Tage später sei Ahmed, so der Name des Mannes, verstorben.

Was bleibt von der Wartezeit?

Was klar geworden sein sollte, die nicht abgeschobenen Menschen sind kein Grund für lange Wartezeiten. Die Anzahl, die Merz nannte, stimmt nicht. Gegenüber dem »Stern« erklärte die Bundeszahnärztekammer, es hätte nur 2015/16 eine Überlastung geben, diese sei allerdings nur zeitweise gewesen. Die Kammer teilte dem »Stern« weiter mit: „Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Deshalb können wir die Kritik nicht bestätigen, beim Zahnarzt kriegt man noch sehr gut Termine.“

Kommentar

Die Union unter Merz versucht sich ständig an der Setzung neuer Themen, dabei übernimmt sie eigentlich nur die Themen der AfD. Unter Merkel hieß es noch „Wir schaffen das“, doch die CDU unter Merz macht daraus eher eine wir wollen das nicht. Vor allem nähert sich die CDU der AfD immer weiter an. Die beschworene Brandmauer scheint bereits abgetragen. Vor der Wahl in Bayern und Hessen kann man überwiegend auf ein populistisches Spielchen setzen, aber Merz gehört jetzt schon zum Mitarbeiter des Jahres bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei AfD.

Die Übernahme der Themen und der populistische Kurs geht schief, die AfD ist der Nutznießer dieses Vorgehens. Wähler und Wählerinnen wollen eben das Original und nicht den billigen Abklatsch. Wer will schon ein Cola-Orange-Mix, wenn er Spezi haben kann? Gerade in Bayern versteht man den Vergleich besonders gut.

Aus meiner Zeit in einer Landesaufnahmeeinrichtung kann ich eine gute Versorgung mit Zahnersatz oder eine gute zahnärztliche Versorgung nicht bestätigen, schon gar nicht ein Pull-Faktor Zahnmedizin. In den Gesprächen mit diesen Menschen, was Friedrich Merz auch ausprobieren sollte, erfährt man, was die Menschen zur Flucht bewegt hat. Krieg, Verfolgung, Hunger und vor allem die Sehnsucht nach Freiheit.

*Frank Meier heißt eigentlich anders. Der Name wurde auf seinen Wunsch hin verändert.

  1. Drucksache 20/8182 (bundestag.de) []
  2. Medizinische Versorgung von Asylbewerbern | Verbraucherzentrale.de []

Von Steven Oberstein

Steven Oberstein oder auch besser bekannt unter dem Pseudonym OBIausHV ist freier Journalist und beschäftigt sich in letzter Zeit vor allem mit der Corona-Pandemie, ansonsten schreibt er über folgende Themen: Medienkritik, Gesundheit/Medizin (Coronavirus, Anthroposophie, Homöopathie), Politik und Technik.

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