Am Freitagabend verwandelte sich das Stadtfest zur 650-Jahr-Feier von Solingen, das unter dem Motto „Festival der Vielfalt“ stand, in einen Albtraum. Gegen 21:37 Uhr stach ein Mann unvermittelt mit einem Messer auf Besucher ein, zielte dabei gezielt auf die Halsgegend seiner Opfer. Drei Menschen – zwei Männer und eine Frau – verloren dabei ihr Leben, acht weitere wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Die Polizei löste unmittelbar Großalarm aus, doch es gelang dem Täter, in dem entstehenden Chaos zu entkommen.
Die ersten Notrufe erreichten die Polizei um 21:40 Uhr, und innerhalb von Minuten war ein Großaufgebot an Einsatzkräften vor Ort. Trotz der schnellen Reaktion der Sicherheitskräfte gelang es dem Täter, im Chaos zu entkommen. Um eine Massenpanik zu verhindern, entschieden sich die Veranstalter zunächst, die Musik weiterlaufen zu lassen, während die Polizei begann, das Gebiet abzusichern.
Der Tatverdächtige: Verbindungen zum »Islamischen Staat«?
Der Tatverdächtige, ein 26-jähriger Syrer, stellte sich gegen Mitternacht am folgenden Tag den Behörden, also in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird ihm vorgeworfen, sich der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) angeschlossen zu haben. Der IS reklamierte den Anschlag für sich und veröffentlichte ein Video, das angeblich den Täter zeigt, wie er die Tat als Rache für die „Tötung von Muslimen“ bezeichnet. Zudem erklärte der Mann im Video, dass der Anschlag auch ein Racheakt für die Leiden der Menschen in Palästina sei. Ob es sich bei dem vermummten Mann im Video tatsächlich um den Tatverdächtigen handelt, ist derzeit noch unklar.
Der IS, der trotz seiner militärischen Niederlage in Syrien und im Irak weiterhin aktiv ist, hat in den vergangenen Jahren weltweit Anschläge verübt oder einzelne Angreifer motiviert. Mit Zellen in Nord- und Ostsyrien sowie im nördlichen Irak bleibt der IS eine ernsthafte Bedrohung, die jederzeit wieder aufflammen kann. Die Authentizität des Videos sowie die Identität des darin gezeigten Mannes sind derzeit noch Gegenstand der Ermittlungen.
Politische Reaktionen: Forderungen nach Konsequenzen
Der Anschlag hat sofort politische Diskussionen über die deutsche Asylpolitik und Sicherheitsmaßnahmen ausgelöst. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) fordert eine Neubewertung der Sicherheitslage durch das Auswärtige Amt, um Abschiebungen nach Syrien zu erleichtern. In einem Interview mit dem ZDF betonte er die Notwendigkeit einer umfassenden Aufarbeitung innerhalb der Behörden, um Versäumnisse zu identifizieren und klar zu benennen.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert widersprach den Forderungen nach einer Verschärfung der Asylpolitik. Im ARD-Morgenmagazin wies Kühnert die Vorschläge von CDU-Chef Friedrich Merz, die Asylpolitik zu verschärfen, entschieden zurück. „Er hat viele Vorschläge gemacht, die gehen rechtlich nicht“, sagte Kühnert und verwies auf das verfassungsmäßig verankerte individuelle Recht auf Asyl. Kühnert betonte, dass die Lösung nicht darin liege, die Grenzen für Geflüchtete zu schließen, sondern der Radikalisierung junger Männer entgegenzuwirken. Insbesondere müssten Hassprediger im Internet stärker in den Fokus genommen werden, da die Radikalisierung häufig über diese Kanäle stattfinde.
SPD-Chefin Saskia Esken unterstrich die Position ihrer Partei in der Debatte um Abschiebungen: „Was jetzt erfolgen muss, ist die konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan“, sagte sie der Rheinischen Post
Fehler im Asylverfahren: Täter hätte abgeschoben werden sollen
Wie inzwischen bekannt wurde, war der Tatverdächtige Ende 2022 nach Deutschland gekommen und hatte in Bielefeld Asyl beantragt. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt, und nach den Regelungen der Dublin-Verordnung hätte der Mann nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, da dies das erste EU-Land war, in das er eingereist war. Allerdings konnte die Abschiebung nicht durchgeführt werden, da der Syrer in Deutschland untergetaucht war.
Erst nach seiner erneuten Registrierung in Solingen kam er wieder in den Fokus der Behörden, doch zu diesem Zeitpunkt war die Frist für die Abschiebung abgelaufen. Diese Versäumnisse haben zu einer intensiven Diskussion über die Effizienz der Asylverfahren und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden geführt. SPD-Generalsekretär Kühnert stellte die Frage, warum die Rückführung nach Bulgarien nicht erfolgreich durchgeführt wurde und forderte eine umfassende Aufklärung.
Gedenken an die Opfer
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) werden heute in Solingen erwartet, um der Opfer zu gedenken und sich mit dem Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) auszutauschen. Es ist ein Zeichen der Solidarität und des Zusammenhalts in einer Zeit, in der die Gesellschaft nicht durch Terror gespalten werden darf.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte den Anschlag aufs Schärfste und versicherte, dass Deutschland in solchen Zeiten nicht auseinandergerissen wird. „Wir lassen uns in solchen Zeiten nicht spalten, sondern stehen zusammen und lassen es auch nicht zu, dass ein solch furchtbarer Anschlag die Gesellschaft spaltet“, sagte Faeser bei ihrem Besuch in Solingen.
Protokoll des Terroranschlags in Solingen
Freitag, 23. August 2024
21:37 Uhr
Ein friedliches Stadtfest in Solingen wird zum Schauplatz einer brutalen Tat. Ein Mann greift unvermittelt mehrere Menschen mit einem Messer an, zielt dabei gezielt auf ihre Hälse. Die Attacke endet tragisch: Zwei Männer und eine Frau verlieren ihr Leben, es handelt sich um einen 67-jährigen Mann, einen 56-jährigen Mann und eine 56-jährige Frau. Vier weitere Personen erleiden schwere Verletzungen.
21:40 Uhr
Die ersten Notrufe gehen bei der Polizei ein.
21:45 Uhr
Um eine Massenpanik zu vermeiden, bleibt die Musik zunächst eingeschaltet. DJ Topic, der auf dem Fest auflegt, wird vom Sicherheitspersonal gebeten, weiterzuspielen. Später schildert der gebürtige Solinger auf Instagram, wie schwer ihm dies gefallen sei, da er bereits zu diesem Zeitpunkt wusste, dass Menschen gestorben waren.
Zwischen 21:40 und 21:50 Uhr
Mit-Organisator Philipp Müller tritt mit emotionalen Worten an die Besucher. Er informiert die Anwesenden über die tragischen Ereignisse und appelliert an sie, Ruhe zu bewahren.
Ab 22:00 Uhr
Die Polizei verstärkt ihre Präsenz. Der Täter ist nach wie vor auf der Flucht. Hubschrauber sind im Einsatz.
Samstag, 24. August 2024
00:48 Uhr
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erreicht den Tatort, um sich ein eigenes Bild der Lage zu machen. Er dankt den Einsatzkräften vor Ort und spricht ihnen Mut zu.
01:17 Uhr
Reul tritt vor die Presse. Sichtlich betroffen äußert er sein Mitgefühl für die Opfer und ihre Angehörigen. Er betont, wie schwer ihn das Geschehene treffe.
08:30 Uhr
Eine Spezialeinheit der Polizei stürmt eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus in der Solinger Innenstadt. Ein lauter Knall ist zu hören. Ein Jugendlicher wird vorläufig festgenommen, doch schnell wird klar, dass es sich nicht um den gesuchten Täter handelt.
13:00 Uhr
Die Polizei stellt ein Messer sicher, das nahe dem Tatort in einem Durchgang von der Innenstadt zur Goerdelerstraße gefunden wird. Der Bereich wird abgesperrt.
15:00 Uhr
Polizei und Staatsanwaltschaft informieren auf einer Pressekonferenz im Wuppertaler Polizeipräsidium über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Die wichtigste Nachricht: Der Täter ist immer noch flüchtig. Solingen: Ermittler prüfen terroristisches Motiv | obiaushv.de
17:00 Uhr
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Innenminister Herbert Reul (CDU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kommen ins Solinger Rathaus. Sie zeigen sich entsetzt und fassungslos über die Tat und danken den Einsatzkräften für ihre Arbeit. Wüst sendet eine klare Botschaft: „Unser Land wankt nicht. Wir werden uns nicht erschüttern lassen von Terror, sondern wir werden unsere Art zu leben verteidigen.“ Faeser nennt den Anschlag „widerwärtig“ und betont, dass Deutschland sich in solchen Zeiten nicht spalten lassen werde.
Gegen 17:00 Uhr
Die Polizei setzt einen auf Personensuche spezialisierten Mantrailer-Hund ein. Dieser schlägt vor einem Asylbewerberheim an der Goerdelerstraße am Rande des Stadtkerns an, wo zuvor das Messer gefunden wurde.
20:18 Uhr
Die Polizei umstellt das Asylbewerberheim, das sich im Gebäude des ehemaligen Finanzamtes befindet. Ein Mann wird festgenommen, jedoch stellt sich heraus, dass es sich erneut nicht um den gesuchten Täter handelt.
Kurz vor Mitternacht
Der Täter stellt sich schließlich selbst, er sprach eine Streife der Polizei in der Solinger Innenstadt an.
Hinweis: Wir verwenden den Begriff „Terroranschlag“, da die bisherigen Ermittlungen und verfügbaren Informationen auf ein solches Motiv hindeuten.
Quellen:
Eigene Recherchen
Polizei und Staatsanwaltschaft, sowie ältere Text von uns über den Vorfall
Weitere Quellen im Text angegeben