Die Union und die Migrationsdebatte: Wo endet die Nächstenliebe?

Zwischen Nächstenliebe und Politik: Die Union und die Migrationsfrage

VonSteven Oberstein

19. September 2023
Symbolbil Migrationsfrage Abgebildet sind Merz und Söder

In der politischen Debatte Deutschlands stehen die christlichen Parteien, CDU und CSU, oft im Spannungsfeld zwischen ihren religiösen Grundwerten und der Migrationspolitik. Während das „C“ im Namen auf christliche Werte hinweist, wirft die aktuelle Diskussion die Frage auf, wie gut diese Prinzipien in der Praxis umgesetzt werden. Dieser Artikel wirft einen kritischen Blick auf die Positionen der Union zur Migration und zeigt, wie Nächstenliebe und politische Realität miteinander in Konflikt geraten. Ein ethischer Diskurs über das Verhältnis von Religion und Politik.

Migration im Zeichen des Glaubens? Die Union und ihre Widersprüche

Selten macht man sich bei den christlichen Parteien in diesem Land, also CDU und CSU, die Mühe sie auch nach christlichen Maßstäben zu kritisieren. Eigentlich sollte die Religion aus meiner Sicht in der Politik keine Rolle spielen, es braucht eine Politik für die gesamte Bevölkerung und Religionen sollten eigentlich nur Privatsache sein. Nur weil es mir und vielen anderen Menschen nicht gefällt, heißt es jedoch nicht, dass die Religionen nicht doch einen Einfluss auf die Politik eines Landes haben können. Oft denkt man dabei nicht zuerst an das Christentum oder an christliche Strömungen, dabei haben wir mit der Union eine mächtige Fraktion im Bundestag, welche oftmals den Kanzler oder Kanzlerin stellte.

Beide Parteien der Fraktion bekennen sich sehr offen zu den christlichen Werten, selbst der Name weist auf die Religion hin. Zum einen existiert die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und die Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. (CSU). Die Nächstenliebe, welche Jesus Christus in der Bibel zeigte und das eigentliche Kernstück seiner Lehre bildet, scheint jedoch bei der Union nicht immer eine tragende Rolle zu spielen. Kann Nächstenliebe überhaupt begrenzt sein?

Migration – oder Begrenzung der Nächstenliebe?

Das alles führt uns zum eigentlichen Kern des Artikels: Die aktuelle Migrationsdebatte der Union.
In der Union fordert man aktuell eine Obergrenze für die Migration, was am Ende klar zu einem Beschneiden der Rechte für geflüchtete Menschen führen würde. Marcus Söder (CSU) forderte in einem Interview mit der »BILD am Sonntag« eine „Integrationsgrenze“ und Friedrich Merz (CDU) zeigte bereits seine Unterstützung. In Bayern will Söder für abgelehnte Asylbewerber:innen künftig Chipkarten zum begrenzten Einkauf ausgeben lassen. Welche Mehrkosten ein solches populistisches Vorhaben nötig machen würde, verschwieg Söder allerdings. Weiter sprach er sich für eine Art von Programm für gemeinnützige Arbeit aus, was jedoch eher nach Zwangsarbeit klang. Drei Wochen vor der Landtagswahl wirkt dies eher als Zugeständnis an die rechten Akteure im Land.

Bis heute kennt unser Grundgesetz schon einige Einschnitte im Asylrecht. Zu diesen kam es durch die letzte große Debatte zur Migration, welche in den 90er-Jahren zu einem Beschneiden der Rechte führte. Bereits damals argumentierte man mit der Gefahr von vielen Millionen Flüchtlingen. Die Zahl der Anträge stieg 1992 um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auf 440.000 Asylsuchende. Damals wurden nur 4,3 Prozent der Anträge anerkannt, diese Entwicklung geht für viele Beobachter auf den Umgang mit dem möglichen Zuzug von ausländischen Staatsbürgern einher. In den 1970er-Jahren gab es den Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte, danach folgte eine deutliche Steigerung der Asylbewerber:innenzahlen und damit auch die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Druck durch Union und rassistische Gewalt

Rassistische Gewalt entlud sich in den 90er-Jahren mehrfach, oft tödlich. Bekannt sind vor allem bis heute noch die Vorfälle in Mölln und Rostock-Lichtenhagen. In Medien und der Politik nutzten dies einige, um die Opfergruppen selbst zu beschuldigen oder führten diese Ausschreitungen auf Fehler in der deutschen Flüchtlingspolitik zurück. Insbesondere die Union beteiligte sich stark an der Verschärfungsdebatte.

Wahlplakat CDU Bremen 1991 - "Asyl- mißbrauch beenden! 40.000 Asyl-Akten endlich bearbeiten schein-Asylanted konsequent abschieben kGonsegesetz ändern Am 29. September '91 #xCDU"

Bereits 1991 macht die CDU mit dem Thema Wahlkampf und heizte die Situation sicherlich mit an. Das abgebildete Wahlplakat stammt aus Bremen. In den 80er-Jahren begann die Union sich populistisch mit dem Thema Asyl auseinanderzusetzen und webte das Wort Asylmissbrauch in die Auseinandersetzung mit ein. All dies führte 1992 dazu, dass die SPD, FDP und eben die Union im Dezember 1992 sich auf eine Neuregelung des Asylrechts verständigten. Man erhoffte sich, damit die Verfahren zu beschleunigen und ein „Asylmissbrauch“ sollte verhindert werden. Der ursprünglich uneingeschränkte Satz in Artikel 16 sollte gestrichen und durch einen Artikel 16a ersetzt werden.

Proteste von rund 10.000 Menschen begleiteten die Abstimmung. Das Bonner Regierungsviertel wurde praktisch lahmgelegt. Die Abstimmung: 521 Ja-Stimmen, 132 Nein-Stimmen. Damit hatte man die nötigen Stimmen zur Änderung des Grundgesetzes zusammen. Drei Tage später wurden fünf türkeistämmige Menschen Opfer eines Brandanschlages, keines der Opfer war Asylbewerber:in.

Die Neuregelung sollte sicherstellen, dass der Schutz nur noch von tatsächlich politisch Verfolgten genutzt werden kann. Daneben wurde die Möglichkeit des Aufenthaltsrechts aufrechterhalten, sowie Abschiebungsschutz nach der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention.

1993 führte dies zur Grundgesetzänderung und die sogenannte „Drittstaatenregelung“ (Personen, die über ein EU-Land oder ein anderes Nachbarland Deutschlands einreisen, können ohne Anspruch auf Asyl sofort abgewiesen werden).

Einführung von „sicheren Herkunftsstaaten“. Schutzsuchende aus diesen Staaten erhalten kein Asyl, weil diese Staaten als sicher eingestuft wurden.

Verschärftes Festhalten von Personen, welche über Flughäfen eingereist sind. Diese Menschen können bis zu 19 Tage im Flughafen festgehalten werden. Grundlage dafür ist die Regelung der Transitbereiche als „exterritoriale Gebiete“. Damit kann man die Einreise nach Deutschland unterbinden.

Kritik gab es vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und Pro Asyl.

Eine Frage der Nächstenliebe?

Wer seine Politik nach einer Religion ausrichten will, sollte sich entsprechend auch nach dem Kern dieser Gemeinschaft messen lassen. Selten wird das religiöse Fundament der Unionsfraktion beachtet und geprüft, ob die aktuelle Politik der Partei damit übereinstimmt. Also unternehmen wir doch einmal den Versuch. Grundsätzlich zeigt sich die Union im Allgemeinen eher als rechte Partei, damit ist jedoch keine extremistische Strömung gemeint, sondern lediglich die Einordnung auf dem Spektrum der Parteien.

Rechts meint hier allerdings eine konservative Einstellung, wenn es auch Überscheidungen mit anderen Parteien gibt, welche deutlich weiter rechts der CSU oder CDU stehen. Nach Merkel ist die Partei in eine Krise geraten und versucht seit dem Wähler:innen der AfD von ihren Vorzügen zu überzeugen, was zu populistischen Aussagen führte. Die Schnittmenge zwischen den Extremisten und der Union wird dabei größer, wenn auch nicht die gesamte Fraktion vom Merz-Söder-Kurs überzeugt sind.

Die beiden mächtigen Männer der Union stehen dem Asylrecht deutlich kritisch gegenüber, doch was sagt die Christenlehre dazu?

Nächstenliebe und Barmherzigkeit:

Das zentrale Element des Christentums ist unbestreitbar die Nächstenliebe und Barmherzigkeit.
Jesu ermutigte seine Anhänger, ihren Nächsten zu lieben und sich um die Bedürfnisse der Armen, Kranken und Unterdrückten zu kümmern. In der heutigen Welt sind viele Menschen auf der Flucht vor Kriegen, Verfolgung und Armut. Als christliche Partei sollte die CDU die Verpflichtung haben, diesen Menschen zu helfen und Barmherzigkeit zu zeigen, anstatt diese abzuweisen. Dies bedeutet nicht, dass es keine Regeln und Kontrollen bei der Migration geben sollte, sondern dass diese im Einklang mit christlichen Werten stehen sollten.

Gastfreundschaft und Fremdenliebe:

Die Texte der Bibel ermutigen zur Gastfreundschaft und zur Liebe für Fremde. In Hebräer 13:2 heißt es: „Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben; denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“1 Christen werden dazu ermutigt, Fremde willkommen zu heißen und sich um sie zu kümmern. Die CDU sollte sich demzufolge bemühen, eine Politik zu verfolgen, die die Integration und Inklusion von Migranten fördert, anstatt sie auszugrenzen.

Gleichheit und Würde aller Menschen:

Das Prinzip der Gleichheit und Würde aller Menschen wird von der Union oft betont. Eine direkte Parallele zu den Lehren Jesu, welcher die Gleichheit aller Menschen vor Gott betonte. In Lukas 10:27 ermahnte Jesus seine Anhänger, ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst. Dies schließt Migranten ein, die dasselbe Recht auf ein menschenwürdiges Leben und Schutz haben wie jeder andere.

Integration und soziale Verantwortung:

Die CDU sollte sich für eine Politik einsetzen, die die Integration von Migranten fördert und ihnen ermöglicht, ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu werden. Es entspricht dem christlichen Prinzip der sozialen Verantwortung, das darauf abzielt, benachteiligten und bedürftigen Menschen zu helfen.

Insgesamt sollte die Union und ihre Mitglieder, welche sich auf christliche Werte berufen, vorsichtig sein, eine Politik der Begrenzung der Migration zu unterstützen, was gegen die Lehren Jesu Christi von Liebe, Nächstenliebe und Gastfreundschaft verstoßen dürfte.

Von christlichen Gemeinden oder einigen Theologen gab es immer wieder Kritik gegen diese beiden Parteien. Der evangelische Theologe Christian Wolff (Mitglied der SPD) schrieb in einem Blogbeitrag sogar von einer Lebenslüge in Bezug auf das „C“ in CDU.2

Im letzten Wahlprogramm hieß es von der Partei sehr konkret: „Unser christliches Menschenbild verpflichtet uns zur Bewahrung der Schöpfung und zum verantwortlichen Handeln gegenüber unseren Mitmenschen, gegenüber der Umwelt und gegenüber den zukünftigen Generationen“.3 Auch bei der sozialen Frage, und die Migration dürfte in erster Linie eine solche sein, heißt es von der Union: „Individuelle Freiheit und gemeinschaftliche Verantwortung sind keine Gegensätze, sondern sie bedingen einander.“4 Weitere Punkte begründet man mit dem christlichen Glauben, diese spielen für die aktuelle Betrachtung jedoch keine Rolle.

Im Wahlprogramm zur Bundestageswahl hieß es zur Migration im zweiten Satz: „Wir bekennen uns zum Grundrecht auf Asyl und den rechtlichen und humanitären Verpflichtungen
Deutschlands und Europas.“5 Neben einem Ruf nach gerechteren Asylverfahren wollte man im Programm auch nicht auf Verschärfungen verzichten, so wollte man etwa Falschangaben strafbar machen oder man wollte Mobiltelefone und elektronische Datenträger von Asylsuchenden zur ansatzlosen Durchsuchung freigeben.

Schon in diesem Wahlprogramm erkennt man also den Zwiespalt der Union. Wenn immer es einem passt, beruft man sich auf das christliche Fundament, doch wenn es nicht mit der Agenda übereinstimmt, wird es ohne großes Bedenken über Board geworfen. Christlich, so könnte man sagen, ist ein sehr dehnbarer Begriff. Nicht zuletzt gab es wegen der Auslegung der Bibel bereits viel Streit und Blutvergießen, aber die Nächstenliebe propagierten eigentlich alle christlichen Strömungen.

Wie christlich die Union ist? – Fazit:

Wie christlich die Union ist? – Dies dürfte also weiter eine berechtigte Frage sein. Nur wer kann sie wirklich beantworten? Am ehesten dürften es dir Kirchen beantworten können. Aus meiner Sicht als Atheist ist diese Farge eigentlich nicht wirklich von Interesse. Ich betrachte die Politik dieser beiden Partei eben nicht auf einer christlichen Grundlage und würde selbst nie auf die Idee kommen, eine Partei daran zu messen. Nur hat die Union eine solche Betrachtung auf Grundlage ihres Bezuges zum Christentum selbst förmlich gefordert. Beide Parteien richten zumindest Teile ihrer Politik an dem christlichen Menschenbild aus und erlauben somit ein Hinterfragen auch auf dieser Ebene.

Für eine solche Betrachtung muss man kein gläubiger Christ sein, wie auch in der Union eben nicht nur Christen Politik machen. Mann kann die ethische Grundlage der Christen als Maßstab verwenden, auch als Atheist. Aus meiner Sicht nutzt man Christus immer, wenn es mit den Überzeugungen übereinstimmt und immer dann, wenn man die Politik lieber etwas rechter ausgestalten möchte oder die Nächstenliebe nicht Priorität haben soll, lässt man die Lehren des Christentums außer Acht.

Euer Steven Oberstein
Chefredakteur Obiaushv.de

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  1. Hebräer 13,2 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver []
  2. Was ist christlich an der CDU? | vorwärts (vorwaerts.de) []
  3. Seite 33 des Wahlprogramms, ab Zeile 1068 []
  4. Seite 58 des Wahlprogramms, ab Zeile 1994 []
  5. Seite 25 des Wahlprogramms, ab Zeile 791 []

Von Steven Oberstein

Steven Oberstein oder auch besser bekannt unter dem Pseudonym OBIausHV ist freier Journalist und beschäftigt sich in letzter Zeit vor allem mit der Corona-Pandemie, ansonsten schreibt er über folgende Themen: Medienkritik, Gesundheit/Medizin (Coronavirus, Anthroposophie, Homöopathie), Politik und Technik.

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