Laut dem Handelsblatt und anderen Medien sollen die Erzeugerpreise das erste Mal seit Ende 2020 gesunken sein, doch stimmts?
Falschen Informationen aufgesessen
Auf der Website der Wirtschaftszeitung handelsblatt.com 1 heißt es zur Einleitung: „Die deutschen Erzeugerpreise sind im Juli erstmals seit gut zweieinhalb Jahren wieder gesunken.“ Diese Aussage ist jedoch nachweislich falsch und lässt Zweifel an einer Fachzeitung aufkommen. Eine bittere Panne, doch wie kommt man dort auf diese Aussage?
Am gestrigen Montag wurde vom Statistischen Bundesamt eine Pressemitteilung 2 zu den Erzeugerpreisen herausgegeben und dort lässt sich schon der Fehler erkennen. Im Text heißt es „Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren die Preise im Vorjahresvergleich letztmalig im November 2020 gefallen […]“. Im Text geht es um die Erzeugerpreise, genauer gesagt um die Erzeugerpreisindizes. Besser bekannt unter Erzeugerpreisindex 3 und dieser fällt tatsächlich erstmals seit 2020 negativ aus (Vergleich Vorjahresmonat).
Ein negativer Indexwert zeigt natürlich einen Rückgang der Preise sehr deutlich an, aber die folgende Grafik zeigt eindeutig einen Rückgang bei den Preisen bereits nach September 2022. In der Pressemitteilung wurde vom Statistischen Bundesamt eine andere Grafik verwendet, doch auch bei dieser hätte man dies erkennen müssen. Vergleicht man also nur die Jahresmonatswerte, was aber zur kurz gegriffen wäre, dann kommt man zu der Aussage des Handelsblattes. Das Plateau beim Preisindex wurde jedoch bereits zuvor erreicht (siehe nachfolgende Grafik). Die Daten in dieser Grafik beziehen sich dabei auf die Daten des Vorjahresmonats, so wie diese auch vom Bundesamt angegeben werden. Die Preise sanken davor bereits.
Rückgang erstmals im Oktober 2022
Neben der Grafik zeigte man dort auch eine Tabelle, welche noch deutlicher den Rückgang belegte. Die Tabelle findet ihr bei uns in der nachfolgenden Schaltfläche (einfach draufklicken und die Tabelle wird sich öffnen). Schon im Oktober 2022 betrug der Rückgang zum Vormont -4,2 Prozent. Der Vergleichsindex lag bei 165,2 und sank darauffolgend fast jeden Monat weiter. Aus den vorliegenden Daten lässt sich die Aussage des Handelsblattes deutlich widerlegen. Wichtig ist die Betrachtung der monatlichen Angaben vom Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte. Hier sieht man der Rückgang eben deutlich.
Die Bezeichnung 2015 = 100 mag dabei etwas verwirrend sein, ist jedoch die Übernahme der Daten vom Bundesamt geschuldet. Die Daten werden so angegeben. 2020 lag der Index im Jahresdurchschnitt bei 103,8 und 2022 bereits bei 152,4. Eine Steigerung im Jahresvergleich ist also ersichtlich. Betrachtet man die Monatsdaten, sieht man einen Rückgang des Indexwertes im Oktober. Die Erzeugerpreise sind in diesem Monat schon zurückgegangen. Seitdem sank der Wert fast kontinuierlich. Die Tabelle zeigt im Monatsvergleich auch diesen Rückgang.
Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (Inlandsabsatz)
Tabelle: 2015 = 100 ← Index (Die vollständige Tabelle kann nur am PC angezeigt werden)
Jahr / Monat | 2015 = 100 | Veränderung in % gegenüber | ||
---|---|---|---|---|
Vorjahresmonat | Vormonat | |||
2020 | JD | 103,8 | –1,0 | – |
2021 | JD | 114,7 | 10,5 | – |
2022 | JD | 152,4 | 32,9 | – |
2022 | Juli | 156,3 | 37,2 | 5,3 |
August | 168,6 | 45,8 | 7,9 | |
September | 172,5 | 45,8 | 2,3 | |
Oktober | 165,2 | 34,5 | –4,2 | |
November | 158,7 | 28,2 | –3,9 | |
Dezember | 158,1 | 21,6 | –0,4 | |
2023 | Januar | 154,8 | 16,6 | –2,1 |
Februar | 152,8 | 13,5 | –1,3 | |
März | 150,6 | 6,7 | –1,4 | |
April | 151,1 | 4,1 | 0,3 | |
Mai | 149,0 | 1,0 | –1,4 | |
Juni | 148,6 | 0,1 | –0,3 | |
Juli | 147,0 | -6,0 | -1,1 | |
davon: | ||||
Vorleistungsgüter | 136,5 | -3,4 | –1,0 | |
Investitionsgüter | 122,7 | 5,5 | 0,3 | |
Gebrauchsgüter | 128,4 | 5,8 | 0,0 | |
Verbrauchsgüter | 136,7 | 8,1 | 0,0 | |
Energie | 195,6 | –19,3 | –2,5 |
Auch Tagesschau versagt
Ein gewisses Unvermögen solche Daten journalistisch auszuwerten zeigt sich allerdings auch bei anderen Medien. Das Leitmedium Tagesschau 4 versagte ebenfalls, dort heißt es „Zuletzt waren die Erzeugerpreise im November 2020 gefallen.“ Eine Aussage, welche sich durch die vorliegenden Daten nicht bestätigen lässt. Die Daten zeigen eher einen andauernden Rückgang der Preise 5. Seit 2020 wurde der Index bisher nur nicht negativ. Es ist fraglich, warum mehrere Medien einen solchen Fehler reproduzieren und verbreiten. Man kann hier von einer klassischen Ente (Falschmeldung) sprechen. Die Tagesschau mag sich über einen derartigen Lapsus gewiss ärgern, während sich für die ARD-Finanzredaktion ein Problem abzeichnet.
Ursache der Meldung
Mutmaßlich begann der Fehler also bereits beim Statistischen Bundesamt, wie zuvor im Text dargelegt.
Die journalistischen Kollegen haben hier eine Pressemeldung leider eher übernommen und diese nicht noch einmal kritisch geprüft, ansonsten hätte dieser Fehler auffallen müssen.
Stimmts?
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Euer Steven Oberstein
Chefredakteur Obiaushv.de
Titelbild: Screenshot der Seite https://www.handelsblatt.com/ – bearbeitet durch obiaushv.de
Disclaimer: Auch wenn in dieser Rubrik einzelne Kolleg:innen, Medien oder Akteure kritisiert werden, ist diese Medienkritik nicht als Schellte oder Abwertung der gesamten Arbeit dieser Medien zu verstehen. Fehler geschehen auch im Journalismus und Kritik gehört im Leben dazu.
Aktualisiert am 22.08.2023
- Erzeugerpreise fallen erstmals seit Ende 2020 (archive.org) [↩]
- Erzeugerpreise Juli 2023: -6,0 % gegenüber Juli 2022 – Statistisches Bundesamt (archive.org) [↩]
- Indizes ist die Mehrzahl von Index[↩]
- Inflationsvorbote: Erzeugerpreise gehen im Juli deutlich zurück | tagesschau.de (archive.org) [↩]
- Ausnahme April 2023[↩]