Am 17. Juni 1953 kam es in der DDR zu einem bedeutenden Volksaufstand, bei dem rund eine Million Menschen in mehr als 700 Städten und Gemeinden auf die Straße gingen. Die Demonstranten protestierten gegen die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen, die massive Verstaatlichung der Betriebe und der Landwirtschaft, sowie gegen Versorgungsengpässe und soziale Probleme.
Der Aufstand begann in Ost-Berlin und breitete sich schnell in der gesamten DDR aus. Im Juni 1953 kam es förmlich zu einer Welle von Protesten. Bereits am 15. Juni kam es auf Berliner Großbaustellen zu Protestaktionen. Bauarbeiter formierten sich am 16. Juni in der Berliner Stalinallee und vor dem Krankenhaus in Friedrichshain. Die geplante Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent war der Auslöser und führte praktisch zu einem Ausbruch der Proteste. Die Menschen forderten mehr Freiheit und Demokratie und äußerten ihre Unzufriedenheit über die wachsenden sozialen Probleme, Bevormundung und Repression. In Leipzig ging im Rahmen des Protestes ein Pavillon in Flammen auf.
Ost-Berlin blieb klar das Zentrum des Protestes, aber auch in Dresden, Gera, Leipzig, Halle, Bitterfeld, Magdeburg und vielen weiteren Städten kam es zu Demonstrationen. Rund eine Million Menschen waren demnach in über 700 Orten auf den Straßen unterwegs. Bei den Protesten wurden einige Plätze oder gar Häuser belagert. In Berlin blockierten die Demonstranten etwa das Columbus-Haus am Potsdamer Platz, wo sich eine Verkaufsstelle der DDR-Handelsorganisation HO sowie eine Polizeidienststelle befanden. Im Verlauf der Proteste wurde das Gebäude in Brand gesetzt.
Niederschlagung und Folgen:
Es war die erste bedeutende Rebellion gegen ein kommunistisches Regime nach dem Zweiten Weltkrieg und verdeutlichte, dass das SED-Regime nur mithilfe sowjetischer Waffen aufrechterhalten werden konnte. Die sowjetischen Besatzer und die SED-Regierung reagierten äußerst gewaltsam: Der Ausnahmezustand wurde von den sowjetischen Behörden in 167 von 217 Landkreisen verhängt. Sowjetische Panzer und Soldaten wurden eingesetzt, um den Aufstand niederzuschlagen. Bilder aus dieser Zeit zeigen den Einsatz militärischer Ausrüstung gegen die Demonstrationen. Es war ein ungleicher Kampf, bei dem die Bürger höchstens Steine gegen die Panzer einsetzen konnten. Tausende wurden verhaftet, und 55 Menschen verloren ihr Leben. Der Aufstand wurde nicht nur für die Menschen in der DDR zum Symbol des Widerstands gegen die kommunistische Diktatur und der Unterdrückung.
Trotz der Ereignisse vom 17. Juni kam es in einigen Betrieben zu Arbeitsniederlegungen und Solidaritätsbekundungen seitens der Belegschaft. Eine solche Erklärung wurde auf einer Belegschaftsversammlung des Elektromotorenwerks in Wernigerode am 18. Juni 1953 verabschiedet. Darin forderte man unter anderem Aufklärung „über die Schüsse und Opfer in Berlin und anderen Städten“.
„Die Belegschaft des Elmo-Werks erklärt sich solidarisch mit den Arbeitern Berlins und fordern Rechenschaft über die Schüsse und Opfer von Berlin und den anderen Städten. Wir fordern folgende Punkte:
1. Freie und geheime Wahlen in ganz Deutschland.
2. Aufhebung der Zonengrenzen und Abschluss eines Friedensvertrages mit ganz Deutschland.
Einen Zusatz zu unseren Forderungen. Sollten sich durch unsere Arbeitsniederlegung Verhaftung oder Repressalien ergeben, ruht die Arbeit so lange, bis die Kollegen wieder in Freiheit sind. Das ist der Wille der Belegschaft der Wickelei und an euren Beifall merke ich, dass es der Wille der ganzen Belegschaft des Elektromotorenwerks ist.
[…]“
Als Konsequenz des Aufstands errichtete die Staatssicherheit (Stasi) ein umfassendes Überwachungs- und Spitzelnetzwerk, um künftige Unruhen zu verhindern. Der Aufstand diente der Stasi als Rechtfertigung, ihre Überwachungsmethoden auszuweiten. Ein engmaschiges Netzwerk der Bespitzelung wurde aufgebaut, um jegliche Opposition im Keim zu ersticken.
Am 18. Juni 1953 gab der stellvertretende MfS-Minister Erich Mielke per Blitzfernschreiben den Anweisungen, „Hetzer, Provokateure, Saboteure, Rädelsführer […] sofort festzunehmen“. Einen Tag später differenzierte er zwischen den Streikleitungen mit politischen Forderungen, die ohne weitere Prüfung festgenommen werden sollten, und denen, die ausschließlich sozioökonomische Forderungen stellten, die erst nach einer Überprüfung der einzelnen Mitglieder verhaftet werden sollten.
Verhaftungen und Todesurteile
Noch bis in das Jahr 1955 gibt es Verhaftungen im Kontext der Proteste vom 17. Juni 1953. Nach heutigen Schätzungen wurden etwa 15.000 Menschen verhaftet. Durch die Gerichte ergingen etwa 1.800 Urteile, dabei entscheiden nicht nur Gerichte der DDR sondern auch sowjetische Militärtribunale. Bereits in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni begannen Sicherheitskräfte mit Hausdurchsuchungen und verhafteten vermeintliche Anführer der Streiks.
Die Sowjetischen Militärtribunale (SMT) verhängen im Durchschnitt strengere Strafen als die Gerichte der DDR. Häufig werden Angeklagte zu langjähriger Zwangsarbeit in sowjetischen Straflagern, wie in Workuta, verurteilt. Es gibt fünf Todesurteile, die von den sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland gefällt werden, jedoch ist die genaue Zahl der Verurteilungen nicht bekannt. Willi Göttling wird vom Militärrat der Gruppe sowjetischer Besatzungstruppen in Deutschland zum Tode verurteilt und am Nachmittag des 18. Juni 1953 in Ost-Berlin an einem unbekannten Ort hingerichtet.
Am 17. Juni 1953 nimmt Ernst Jennrich an den Protesten vor der Haftanstalt Sudenburg in Magdeburg teil. Das Bezirksgericht Magdeburg verhängt am 6. Oktober 1953 das Todesurteil gegen ihn. Jennrich wird am 20. März in Dresden hingerichtet.
Heinz Hildebrandt beteiligt sich ebenfalls an der Bitterfelder Kundgebung am 17. Juni 1953. Später setzt er sich für einen verhafteten Kollegen ein und wird 1954 selbst verhaftet. Er wird zu 25 Monaten Haft verurteilt.
Im Gegensatz zur Parole vom „faschistischen Putschversuch“ waren nur elf Prozent der verurteilten Mitglieder einer nazistischen Organisation. Auch lässt sich der Volksaufstand als Inszenierung aus dem Westen nicht belegen, da nur 1,9 Prozent der Verurteilten aus West-Berlin stammten. Diese Fakten werden jedoch nicht öffentlich von der SED anerkannt, stattdessen inszeniert sie mehrere Schauprozesse.
Aufbau der ABV als Früherkennungssystem
Um in Ausnahmesituationen und bei großen Menschenansammlungen einsatzbereit zu sein, erhält die Volkspolizei 14.000 neue Stellen. Diese sollen auch dazu dienen, dass bisher unzureichende Netzwerk der Abschnittsbevollmächtigten (ABV) der Volkspolizei auszubauen. Die ABV sollen als Früherkennungssystem gegen oppositionelle Kräfte eingesetzt werden. Besonders der direkte Zugang zum privaten Lebensbereich wird angestrebt, mit regelmäßigen Haushaltsbesuchen und der Erstellung von Stimmungsberichten für die Stasi.
Nach dem Volksaufstand gewinnen insbesondere die paramilitärischen Kampfgruppen stark an Bedeutung. Sie werden als Betriebskampfgruppen nach dem 17. Juni 1953 aufgebaut und erheblich verstärkt. Die seit 1955 bewaffneten „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ entwickeln sich zu einem Instrument direkt unter der Kontrolle der SED, das zur Sicherung ihrer Macht dient.
Mehr als dreißig Jahre nach dem Aufstand, im Herbst 1989, erkundigte sich Stasi-Minister Erich Mielke: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“
In Westdeutschland wurde der 17. Juni später zum „Tag der Deutschen Einheit“ erklärt, nicht nur als Erinnerung an den Aufstand selbst, sondern auch als Symbol der Sehnsucht nach nationaler Einheit und Freiheit für das gesamte deutsche Volk. Dieser Tag diente als Mahnung an die Teilung Deutschlands und als Ausdruck des Willens zur Überwindung des kommunistischen Regimes in der DDR. Nach der Wiedervereinigung wählte man den 3. Oktober zum „Tag der Deutschen Einheit“.
Der Westen zaudert – RIAS berichtet
Bereits am 16. Juni informierten die deutschen Reporter des „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“ (RIAS) über die Demonstrationen in der Stalinallee. Den ganzen Tag hindurch wurde im Halbstundentakt über die Ereignisse des Tages informiert, auch die Forderungen der Arbeiter wurden erwähnt. Anfang richtete sich der Zorn gegen die Erhöhung des Arbeitspensums, doch recht früh kam es zu Forderungen wie dem Rücktritt der Regierung oder nach freien Wahlen. Selbst der Aufruf zum Generalstreik war Thema. Bei RIAS verstand man sich zu dem Zeitpunkt als Sprachrohr der Streikenden.
Der Sender trug maßgeblich dazu bei, dass der Rest der DDR frühzeitig von den Spannungen in Ost-Berlin erfuhr. Die DDR-Medien berichteten eher nicht über die Demonstrationen, und aufgrund des Fehlens eines weitreichenden Telefonsystems konnten Informationen von Privatpersonen nur schwer über große Entfernungen verbreitet werden. Ende Juni 1953 wurde in der Kino-Wochenschau der DDR eine Demonstration gezeigt, die von der Partei- und Staatsführung organisiert wurde und die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zur Politik der SED dokumentieren sollte. Dabei handelt es sich um gesteuerte Propaganda. Die SED bezeichnete den Aufstand vom 17. Juni im Kontext als eine Konterrevolution, die von „westlichen Provokateuren“ angezettelt worden sei.
Die Amerikaner betrachteten diese Rolle jedoch mit Sorge. Grundsätzlich unterstand der Sender der US-amerikanischen Militärverwaltung. Den deutschen Programmmachern ließ man ansonsten weitgehend freie Hand. Doch das Programm über den Protest wollte man unterbinden. Der amerikanische Kontrolloffizier beim RIAS, Gordon A. Ewing, wies den damaligen RIAS-Chefredakteur Egon Bahr an: „Das wird sofort eingestellt! Denn der Hochkommissar John McCloy hat mich angerufen, ob der RIAS denn den Dritten Weltkrieg beginnen wolle.“1 Untersagt wurde zudem die Verbreitung eines Aufrufs zum Generalstreik.
Adenauer und Westdeutschland zögerlich
In West-Deutschland wurde man durch die Ereignisse in der DDR ähnlich überrascht wie das SED-Regime selbst. Adenauer und die Bundesrepublik steckten 1953 im Wahlkampf. Nach den ersten versöhnlichen Tönen aus Moskau, nach dem Tod von Josef Stalin, war sich die Republik unter Bundeskanzler Adenauer nicht sicher, wie die USA reagieren. Man fürchtete eine Konfrontation der Großmächte am Eisernen Vorhang, auch wenn man mit der Bevölkerung in der DDR sympathisierte.
Man entschied sich daher zu einer Politik der Beruhigung. Jakob Kaiser, damals Minister für gesamtdeutsche Fragen, ließ am 16. Juni um 22:40 Uhr folgende Rede über RIAS verbreiten: „Richte ich an jeden einzelnen Ost-Berliner und an jeden Bewohner der Sowjetzone die Mahnung, sich weder durch Not noch durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen zu lassen. Niemand soll sich selbst und seine Umgebung in Gefahr bringen. Die grundlegende Änderung eures Daseins kann und wird nur durch die Wiederherstellung der deutschen Einheit und Freiheit erreicht werden.“
Der Berliner DGB-Vorsitzende Scharnowski formulierte gemeinsam mit RIAS-Redakteuren einen Aufruf, welcher ohne das Wort Generalstreik auskam. Am 17. Juni zwischen 5:36 und 7:30 Uhr wurde dieser entsprechend mehrmals wiederholt:
„Als dienstältester demokratischer Gewerkschafter und Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes östlich der Elbe kann ich euch in der Ostzone und Ost-Berlin keine Anweisungen erteilen. Ich kann euch nur aus ehrlichster Verbundenheit gute Ratschläge geben. […] Tretet der Bewegung der Ostberliner Bauarbeiter, BVGer und Eisenbahner bei und sucht eure Strausberger Plätze überall auf“.
RIAS war damals die Sendeanstalt mit dem wohl größten Einfluss auf die Bevölkerung in der DDR. Wenngleich nicht die gesamte Bewegung durch RIAS geprägt war, auch wenn Egon Bahr und andere dies oft vermuteten. Neuere Forschung deckte auf, dass es auch Forderungen außerhalb der Berliner Blase gab, etwa in Sachsen. Sicherlich kann man RIAS jedoch die schnelle Verbreitung zu gestehen, aber auch ohne das Radio hätte es eine solche Verbreitung gegeben, wenn auch deutlich langsamer.
Adenauer drückte es am 1. Juli vor dem Deutschen Bundestag vorsichtig aus und formulierte eher in allgemeinen Floskeln: „Die Bundesregierung hat in eindringlichen Botschaften an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den britischen Premierminister und den französischen Ministerpräsidenten appelliert, alles Mögliche zu tun, um dem deutschen Volk die Einheit und Freiheit wiederzugeben.“
Georgij Malenkow, der Vorsitzende des Ministerrates der Sowjetunion, äußerte sich in einer Rede vor dem Obersten Sowjet am 8. August 1953 zum Verhältnis der Supermächte zueinander wie folgt: „Wir befürworten weiterhin ein friedliches Nebeneinanderbestehen beider Systeme. Es gibt unserer Ansicht nach keinen objektiven Grund für Zusammenstöße zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion.“ Diese Haltung hatte zur Folge, dass beide Siegermächte die bestehende Teilung Deutschlands nach 1945 respektierten. Für eine Überwindung der Teilung wollte man den Frieden nicht riskieren. Der Esten ließ daher die Sowjetunion gewähren.
Literaturempfehlung:
Volkserhebung gegen den SED-Staat – Eine Bestandsaufnahme zum 17. Juni 1953 | Vandenhoeck & Ruprecht
ISBN 3-525-35004-X
Quellen:
Eigene Recherchen
Gespräche mit Zeitzeugen
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / LeMO Kapitel: 17. Juni 1953 – Volksaufstand (hdg.de)
Bundesstiftung Aufarbeitung / BStA_Broschuuere_Volksaufstand.pdf (bundesstiftung-aufarbeitung.de) [PDF]
1 Egon Bahr in: Zu meiner Zeit, München 1996, S. 78