Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben die politische Landschaft in beiden Bundesländern drastisch verändert. Besonders in Thüringen, wo die politische Lage ohnehin bereits fragil war, stehen die Parteien nun vor extrem schwierigen Verhandlungen. Steven Oberstein, Chefredakteur von obiaushv.de, analysiert, warum die Strategie der Union gescheitert ist, obwohl sie in einigen Bereichen aufzugehen schien.
Analyse: Sachsen und Thüringen nach den Landtagswahlen – Ein Kommentar von Steven Oberstein
Die gescheiterte Strategie der Union
Die CDU unter Friedrich Merz hatte sich in den vergangenen Jahren das Ziel gesetzt, die AfD deutlich zu schwächen. Merz propagierte wiederholt, die AfD „halbieren“ zu wollen, indem die Union eine harte Oppositionspolitik gegen die Ampelkoalition führte. Diese Strategie beinhaltete jedoch nicht nur eine scharfe Kritik, sondern auch populistische Ansätze, die sich oft nicht auf Fakten stützten.
Ein markantes Beispiel dafür ist die Kampagne rund um das Heizungsgesetz. Angeführt von der Bild-Zeitung und unterstützt durch die Union, wurde das Gesetz so dargestellt, als würde es Robert Habeck persönlich anstreben, Heizungen aus den Häusern der Bürger zu entfernen. Diese übertriebene Darstellung schürte Ängste und führte dazu, dass viele Menschen in Panik ihre Heizungen gegen ineffiziente, aber vertraute fossile Anlagen austauschten. Dabei wurde ignoriert, dass es in Wirklichkeit nie um ein Verbot bestehender Heizungen, sondern lediglich um die Begrenzung neuer fossiler Heizsysteme ging. Diese gezielte Desinformation hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und moderne Energietechnologien massiv untergraben.
Für die Kunden der Alttechnik wird das späte Erwachen ebenso kommen: Der CO₂-Preis verteuert sich immer weiter und allgemein werden die fossilen Energieträger immer teurer.
Fehler der Ampelkoalition und die Rolle der FDP
Die Union allein trägt jedoch nicht die Schuld an der aktuellen Situation. Das Heizungsgesetz ist aber nur ein Beispiel der Kampagne gegen die Ampel. Die Ampelkoalition selbst, insbesondere durch ihre oft unklare und widersprüchliche Kommunikation, hat dazu beigetragen, dass die Bevölkerung zunehmend verunsichert ist. Die Rolle der FDP, welche sich nun mit ihren Spielchen erfolgreich aus den Landesparlamenten fern hält, trägt ebenfalls zur politischen Instabilität bei. Ihre Taktik könnte die Liberalen auch bei einer kommenden Bundestagswahl teuer zu stehen kommen, da sie immer mehr Wähler verlieren. Eine weitere rechte oder konservative Partei benötigt in Deutschland niemand. Liberale Werte und auch eine sozialliberale Agenda könnte der Ausweg sein, doch in der Partei scheint kaum jemand noch diesen Weg gehen zu wollen.
AfD: Eine bewusste Wahl
Trotz der Fehler und Versäumnisse der etablierten Parteien bleibt festzuhalten, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD sehr genau wissen, wofür diese Partei steht. Die Landesverbände der AfD in Sachsen und Thüringen sind vom jeweiligen Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft, doch dies scheint die Wählerschaft kaum abzuschrecken – eher im Gegenteil. Viele bevorzugen die klare Positionierung der AfD gegenüber einer „abgeschwächten“ Variante, wie sie beispielsweise durch die Übernahme von AfD-Positionen durch die Union vertreten wird. Dies zeigt, dass die Strategie der Union, durch die Annahme rechtspopulistischer Positionen die AfD zu schwächen, letztlich gescheitert ist.
Die AfD-Wähler streben keine „AfD light“ an, sondern wünschen sich das Original – eine Partei, die ihre radikalen und extremistischen Positionen klar und ohne Kompromisse vertritt. Die Union hat zwar in Sachsen nur geringe Verluste erlitten und in Thüringen sogar leichte Zugewinne verzeichnet, doch diese Erfolge sind im Kontext der zunehmenden Radikalisierung der Wählerschaft und dem Aufstieg der AfD als ernst zu nehmende politische Kraft in den östlichen Bundesländern eher ein Pyrrhussieg.
Zwickmühle der Union
Die Union befindet sich nun in einer schwierigen Lage. In Sachsen hat Ministerpräsident Michael Kretschmer die Wahl zwar gewonnen, dies jedoch auf Kosten seines bisherigen Koalitionspartners, Bündnis 90/Die Grünen. Kretschmer hat im Wahlkampf mehrfach betont, dass er nicht weiter mit den Grünen regieren möchte. Diese klare Ablehnung könnte sich jedoch indessen als Bumerang erweisen, da die Optionen für eine Regierungsbildung stark eingeschränkt sind.
Eine Koalition mit der AfD hat Kretschmer kategorisch ausgeschlossen. Sollte er jedoch keine andere Regierungsoption finden, könnte der Druck steigen, diese Position zu überdenken. Eine Koalition mit der AfD wäre jedoch nicht nur ein Bruch aller bisherigen Versprechungen, sondern würde auch die „Brandmauer“ gegen die rechtsextreme Partei endgültig einreißen und die Glaubwürdigkeit der Union auf Bundesebene nachhaltig beschädigen.
Ein weiteres mögliches Szenario könnte eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sein, das sich ebenfalls als neue politische Kraft in Ostdeutschland etabliert hat. Diese Option wäre jedoch ebenfalls hochproblematisch, da Wagenknecht für eine populistische und teils radikale Politik steht, die in weiten Teilen der CDU und insbesondere im konservativen Flügel der Partei auf Widerstand stoßen dürfte, aber immer noch beliebter ist, als jede Kooperation mit den Linken.
Auswirkungen auf die Regierungsbildung
In beiden Bundesländern dürfte sich die Regierungsbildung äußerst schwierig gestalten. In Thüringen wurde die Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen deutlich abgestraft. Die Linke hat massiv an Stimmen verloren, die SPD steht nur knapp im Parlament, und die Grünen sind ganz herausgefallen. Die CDU konnte ihr Ergebnis zwar halten, hat aber keine klare Mehrheit. Eine Regierungsbildung im Freistaat wird alles andere als einfach. Nach den bisherigen Aussagen beabsichtigt keine Partei eine Koalition mit der AfD einzugehen – weder die CDU noch das BSW. Bleibt die Frage, ob am Ende eine Partei bereit ist, eine AfD-Minderheitsregierung zu tolerieren?
In Thüringen konnte der Linken-Politiker Bodo Ramelow als einziger Spitzenkandidat in Thüringen seinen Wahlkreis direkt gewinnen, trotz des allgemeinen Niedergangs seiner Partei. Ramelow war bisher einer der beliebtesten Politiker seines Bundeslandes, konnte jedoch den allgemeinen Abwärtstrend seiner Partei nicht aufhalten.
In Sachsen steht die CDU vor der Herausforderung, ohne die Grünen eine stabile Regierung zu bilden, was jedoch kaum gelingen dürfte. Eine deutliche Mehrheit der Sachsen spricht sich allerdings klar gegen eine erneute Regierungsbeteiligung der Grünen aus. Michael Kretschmer hat über Monate hinweg betont, dass er am liebsten ohne die Grünen weiterregieren möchte und den Koalitionspartner immer wieder öffentlich kritisiert. Die Grünen konterten bei jeder Gelegenheit, blieben aber dennoch in der Koalition. Eine Koalition mit der AfD würde das politische System Deutschlands grundlegend erschüttern, da dies das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wäre, dass eine rechtsextreme Partei in eine Landesregierung eintritt.
Die Auswirkungen auf Deutschland und Europa
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben nicht nur nationale, sondern auch internationale Auswirkungen. Erstmals seit 1945 hat eine offen rechtsextreme Partei in beiden Bundesländern über 30 Prozent der Stimmen erhalten. Am Ende hat Deutschland insgesamt mit diesen Wahlergebnissen verloren. Es wird eine Wirkung im Ausland haben, welche wir heute noch gar nicht vollständig abschätzen können. Gerade die Wirkung auf benötigte Fachkräfte dürfte weiterhin verheerend sein.
In vielen Stadträten und Kreistagen hat die Akzeptanz der AfD durch die jüngsten Kommunalwahlen zugenommen. So wurde in Großschirma ein AfD-Politiker zum Bürgermeister gewählt, und in Pirna regiert bereits ein AfD-unterstützter Kandidat. Die AfD könnte in beiden Ländern eine Sperrminorität erhalten und somit viele Entscheidungen blockieren. Sicher ist dies jedoch bislang nicht, weil mehrere Parteien und Experten einen Fehler in der Berechnung der Sitze in Sachsen gefunden haben wollen. Der Sachverhalt ist bekannt und wird überprüft, erklärte eine Sprecherin der Landeswahlleitung. Es geht dabei um nur einen einzigen Sitz im sächsischen Landtag.
Mit einer Sperrminorität könnte die AfD verhindern, dass bestimmte Landesgesetze, die eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten erfordern, ohne ihre Zustimmung beschlossen werden. In Sachsen, wie auch in anderen Bundesländern, werden Verfassungsrichter und die Spitzen der Landesrechnungshöfe mit einer Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten gewählt. Das bedeutet, dass bestimmte Positionen ohne die Zustimmung der AfD nicht neu besetzt werden könnten. Auch eine Selbstauflösung der Landtage wäre dann nicht möglich.
Eine ungewisse Zukunft
Die Regierungsbildung in beiden Bundesländern bleibt schwierig und ungewiss. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Parteien positionieren werden und welche Auswirkungen dies auf die Bundespolitik und das internationale Ansehen Deutschlands haben wird. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die politische Landschaft sich stabilisieren kann oder ob wir vor einer weiteren Polarisierung stehen.
Durch die aktuellen Entwicklungen wird Deutschland vor großen politischen Herausforderungen stehen. Es ist zu befürchten, dass die zunehmende Radikalisierung der Wähler und die damit verbundene Stärkung rechtsextremer Positionen langfristig das politische Klima weiter vergiften wird. Zudem stellt sich die Frage, wie die etablierten Parteien mit dieser neuen Realität umgehen werden, ohne ihre eigenen Grundwerte zu verraten oder weiter an Vertrauen zu verlieren.
Abschließen möchte ich nicht mit meinen Worten, sondern mit den Worten von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sie schrieb gestern auf X (ehemals Twitter): „Die Wahlergebnisse markieren eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik. Heute, 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, droht Deutschland wieder ein anderes Land zu werden: instabiler, kälter, ärmer, weniger sicher, weniger lebenswert. Wenn die demokratische Mitte in Thüringen nur noch eine Minderheit der Wähler überzeugen kann, möge niemand von ‚Protest‘ sprechen. Viele Wähler wollten bewusst die Extremisten an den Rändern in Verantwortung bringen. Die Folgen dieser Wahl bekommt das ganze Land zu spüren.“
Was sind die Hauptgründe für das Scheitern der Union in Thüringen?
Die Union hat versucht, durch populistische Ansätze und harte Oppositionspolitik die AfD zu schwächen. Diese Strategie hat jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht und führte zu einem Vertrauensverlust bei den Wählern.
Welche Rolle spielt die AfD in den neuen Bundesländern?
Die AfD hat in Sachsen und Thüringen signifikante Wahlerfolge erzielt, was ihre Rolle als starke oppositionelle Kraft in den neuen Bundesländern unterstreicht.
Die Wahlergebnisse könnten die politische Dynamik in Deutschland verändern, insbesondere durch den steigenden Einfluss der AfD und die daraus resultierenden Koalitionsschwierigkeiten.
Quelle:
Eigene Recherchen
Landeswahlleiter der beiden Bundesländer
Charlotte Knobloch auf X: „Die Wahlergebnisse markieren eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik. Heute, 85 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, droht Deutschland wieder ein anderes Land zu werden: instabiler, kälter, ärmer, weniger sicher, weniger lebenswert. 1/4“ / X