Nach dem angekündigten Rücktritt des Bundesvorstands der Grünen folgt nun auch ein drastischer Schritt seitens der Grünen Jugend: Der gesamte Bundesvorstand der Jugendorganisation hat nicht nur seinen Rücktritt bekannt gegeben, sondern plant zudem, die Partei gänzlich zu verlassen. In einem internen Schreiben, das mehreren Nachrichtenagenturen vorliegt, erklärten die zehn Vorstandsmitglieder, dass sie am morgigen Tag geschlossen aus der Partei austreten wollen. Dieser Schritt sei bereits in den letzten Wochen beschlossen worden, also noch vor der überraschenden Ankündigung des Rücktritts des Grünen-Bundesvorstands am vergangenen Mittwoch.
Unzufriedenheit mit der strategischen Ausrichtung der Partei
Die Vorsitzenden der Grünen Jugend, Svenja Appuhn und Katharina Stolla, erklären in dem Schreiben, dass die Entscheidung nicht spontan gefallen sei, sondern tiefere Ursachen habe. Trotz des respektvollen Rücktritts des Grünen-Parteivorstands sehen sie keine Aussicht auf eine inhaltliche und strategische Neuausrichtung der Partei, die den Überzeugungen der Jugendorganisation gerecht wird. Zwar loben sie die Entscheidung des Bundesvorstands, den Rücktritt als Akt der „zweifelsohne menschliche Größe“ zeigt, doch glauben sie nicht daran, dass dieser Schritt die erforderlichen inhaltlichen Veränderungen in der Partei bewirken wird.
„Es ist besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen und ihr gut neu starten könnt“, heißt es in dem Schreiben weiter. Die deutlichen Worte offenbaren die Enttäuschung der Vorstandsmitglieder über den bisherigen Kurs der Partei. Insbesondere fordern sie eine stärkere linke Orientierung und eine Politik, die radikalere Lösungen für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Gleichberechtigung verfolgt. Diese Forderungen, so scheint es, ließen sich innerhalb der Grünen nicht ausreichend umsetzen, was letztlich den Bruch notwendig mache.
Gründung eines neuen linken Jugendverbands
Der Rückzug aus der Grünen Jugend und der Partei soll im Rahmen des Bundeskongresses der Organisation, der vom 18. bis 20. Oktober in Leipzig stattfindet, abgeschlossen werden. Bis dahin möchten die zehn Vorstandsmitglieder ihre Ämter weiterführen und eine reibungslose Wahl eines neuen Vorstands gewährleisten. Unmittelbar nach dem Kongress planen sie dann den Austritt aus der Grünen Jugend.
Doch mit dem Rücktritt allein ist es für die bisherigen Vorstandsmitglieder nicht getan. Sie kündigen an, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband gründen zu wollen. Dieser soll politische Positionen vertreten, die sich klarer und entschlossener von der aktuellen Parteipolitik der Grünen abgrenzen. „Dauerhaft ist es aber nicht möglich, gleichzeitig Teil einer Partei zu sein und für eine grundsätzlich andere Politik zu werben als die eigene Partei umsetzt“, schreiben sie in ihrem Brief.
Inhaltliche Differenzen: Was treibt die Grünen Jugend zu diesem Schritt?
Die Entscheidung zum Austritt und zur Gründung eines neuen Jugendverbands spiegelt eine tiefe Unzufriedenheit mit der Ausrichtung der Grünen wider. In den vergangenen Jahren stand die Partei immer wieder vor dem Spagat, einerseits pragmatisch in der Regierungspolitik zu agieren, andererseits aber die Forderungen ihrer Basis – insbesondere der jüngeren Generation – zu vertreten. Themen wie der Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und die Flüchtlingspolitik stehen im Zentrum dieser Spannungen.
Die Grünen Jugend hatte wiederholt eine schärfere Gangart in der Klimapolitik gefordert und auch in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Wirtschaftspolitik radikalere Positionen als die Mutterpartei eingenommen. Während die Grünen als Regierungspartei in Kompromisse verwickelt sind und oft unliebsame Entscheidungen mittragen, pocht die Jugendorganisation auf konsequentere und schneller umzusetzende Maßnahmen.
Signal an die Partei und Spitze
Der geschlossene Rücktritt des Bundesvorstands der Grünen Jugend ist ein deutliches Signal an die Partei sowie Parteiführung und könnte weitreichende Konsequenzen für die Partei haben. Die Grünen befinden sich nach dem Rücktritt ihres eigenen Bundesvorstands in einer Phase der Neuorientierung. Nun offenbart sich eine weitere Baustelle: Die Spannungen zwischen der Parteijugend und der älteren Parteigeneration, die vorrangig in der Regierungsverantwortung steht.
Der geplante Schritt des Vorstands zeigt, dass die Nachwuchsorganisation die Hoffnung auf inhaltliche Veränderungen in der Partei aufgegeben hat. Die Grünen Jugend hat sich über die Jahre hinweg als Sprachrohr der progressiveren Kräfte innerhalb der Partei etabliert. Ihr Austritt und die geplante Gründung eines neuen Jugendverbands könnten dazu führen, dass die Grünen einige ihrer jungen, linken Mitglieder verlieren – ein Aderlass, der für die Partei schmerzhaft sein könnte.
Chancen und Risiken der Neugründung
Die Gründung eines neuen, explizit linken Jugendverbands birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Einerseits könnte der neue Verband eine politische Plattform bieten, die radikalere Forderungen vertritt und sich damit von der Kompromisspolitik der Grünen abgrenzt. Gerade in einer Zeit, in der Themen wie der Klimaschutz und soziale Ungleichheit immer drängender werden, könnte ein solcher Verband breite Unterstützung finden – sowohl innerhalb als auch außerhalb der bisherigen Grünen-Strukturen.
Andererseits besteht das Risiko, dass die politische Linke weiter fragmentiert wird. Eine Abspaltung der Jugendorganisation könnte zu einer Schwächung der Gesamtpartei führen, was insbesondere im Hinblick auf zukünftige Wahlen und Regierungsbeteiligungen von Bedeutung wäre.
Ausblick und Fazit
Die anstehende Neuwahl des Grünen-Parteivorstands könnte die Richtung der Partei maßgeblich prägen. Während der scheidende Vorstand der Grünen Jugend nun einen klaren Bruch vollzieht, bleibt offen, wie die Partei auf diesen Abgang reagieren wird. Der geplante neue Jugendverband könnte dabei eine bedeutende Rolle im linken politischen Spektrum spielen und möglicherweise auch über die bisherigen Anhänger hinaus Sympathisanten gewinnen. Die kommenden Wochen bis zum Bundeskongress der Grünen Jugend im Oktober versprechen somit spannende Entwicklungen für die grüne Jugend- und Parteipolitik.
Vor allem sah sich die Grüne Jugend selbst als Daueropposition, wie sie im Brief explizit erwähnen. Mit der Ankündigung wird inzwischen ein tiefer Spalt in der Partei deutlicher. Die Grünen haben in der Ampel mehrfach gelitten und so manche Kröte geschluckt. Von den sozialen Plänen, wie einer Kindergrundsicherung, ist am Ende fast nicht mehr über. Es zeigt sich, dass nicht nur die Wählerschaft von der Jugend enttäuscht ist, sondern auch in der Partei ein tiefer Riss entstanden ist. Zu oft waren die Kompromisse nicht tragbar für einen sich als linke und soziale Bewegung verstehenden Jugendverband. Es dürfte erst der Anfang einer größeren Krise der Partei werden. Die Grünen müssen aufpassen, nicht weiter an Bedeutung zu verlieren und mit dem Abtreten von Ricarda Lang nicht die soziale Kompetenz aus den Augen zu verlieren.
Lang hat erkannt, dass die Grünen ein soziales Profil benötigen, um das Bild der einkommensstarken Akademiker-Biomarkt-Partei abzulegen. Doch diese Erkenntnis könnte bei der bevorstehenden Neuausrichtung fehlen. Der Rücktritt des Bundesvorstands ist ein Neuanfang, aber ohne ein starkes soziales Profil wird es den Grünen schwerfallen, sich neu zu positionieren und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Kurz & Bündig
Warum tritt der Bundesvorstand der Grünen Jugend geschlossen zurück?
Die Mitglieder des Bundesvorstands sind unzufrieden mit der strategischen Ausrichtung der Grünen und sehen keine Möglichkeit, ihre politischen Vorstellungen innerhalb der Partei umzusetzen.
Was plant die Grüne Jugend nach ihrem Rücktritt?
Die Mitglieder des Bundesvorstands planen die Gründung eines neuen, linken Jugendverbands, der radikalere politische Positionen vertritt.
Wann wird der Rücktritt des Vorstands der Grünen Jugend vollzogen?
Der Rücktritt soll während des Bundeskongresses der Grünen Jugend vom 18. bis 20. Oktober in Leipzig erfolgen.
Was bedeutet der Austritt der Grünen Jugend für die Partei?
Der Austritt der Grünen Jugend könnte dazu führen, dass die Grünen junge, linke Wähler verlieren und damit an politischer Bedeutung einbüßen.
Quellen:
Eigene Recherchen
Rücktritt des Grünen-Vorstands nach Wahldebakel im Osten | obiaushv.de
Brief:
„Erklärung an Parteivorstand und Bundestagsfraktion
Liebe Katharina,
liebe Britta,
liebe Ricarda,
lieber Omid,
liebe Emily,
lieber Frederic,
liebe Pegah,
lieber Heiko,
liebe Freundinnen und Freunde,wie Ihr vielleicht schon gehört habt, haben wir – der gesamte Bundesvorstand der Grünen Jugend – uns dazu entschieden, nicht erneut zu kandidieren und morgen aus der Partei auszutreten. Wir wissen, dass viele von Euch sehr überrascht, sicherlich auch wütend oder enttäuscht von dieser Entscheidung sind. Wir möchten Euch zumindest einmal darlegen, wie es zu dieser Entscheidung kam und wie es für uns und für die Grüne Jugend jetzt weitergeht.
Wir haben die Entscheidung, die Partei zu verlassen, in den letzten Wochen, also bereits vor der Bekanntgabe des Rücktritts des Parteivorstands, getroffen. Wir hielten es allerdings nicht für verantwortlich, unsere Entscheidung während der Landtagswahlkämpfe zu verkünden, da wir Sorge hatten, dass es die ohnehin schon schwierigen Wahlkämpfe überschattet hätte. Wir möchten an der Stelle einmal betonen, dass wir großen Respekt vor der Entscheidung des Bundesvorstands haben, zurückzutreten. Dieser Schritt beweist zweifelsohne menschliche Größe. Das ganze ändert jedoch nichts an unserer Entscheidung. Wir gehen nicht davon aus, dass eine personelle Neuaufstellung zu einer inhaltlichen und strategischen Neuausrichtung der Partei in unserem Sinne führen wird. Es ist besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen und ihr gut neu starten könnt.
Weil wir wissen, dass es gerade schon kursiert, melden wir uns jetzt. Wir hätten es gerne morgen in Ruhe mit euch besprochen. Wir setzen heute Abend euch in Kenntnis, aber nicht die Öffentlichkeit. Wir glauben, dass das angesichts des BuVo-Rücktritts gerade besser ist – vor allem, weil wir dem Bundesvorstand den Tag lassen wollen.
Ihr alle habt gemerkt, dass sich die Konflikte zwischen grüner Partei und Grüne Jugend in den letzten Jahren immer weiter zugespitzt haben. Sei es bei der Debatte um das 100-Mrd-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, bei der Auseinandersetzung rund um Lützerath, bei den Asylrechtsverschärfungen oder den Haushalten. In allen Fällen haben wir parteiintern versucht, Entwicklungen aufzuhalten, die wir für falsch gehalten haben – und konnten uns damit nicht durchsetzen. Wir können das akzeptieren, so ist das mit innerparteilicher Demokratie.
Als Grüne Jugend haben wir uns dadurch – aber auch in Ermangelung einer hörbaren linken Opposition im Bundestag – zunehmend in der Rolle einer öffentlichen linken Opposition gesehen. Dauerhaft ist es aber nicht möglich, gleichzeitig Teil einer Partei zu sein und für eine grundsätzlich andere Politik zu werben als die eigene Partei umsetzt.
Wir merken, dass unsere inhaltlichen aber auch strategischen Vorstellungen von Politik immer weiter auseinander gehen – und glauben, dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt.
In den letzten Monaten haben wir oft aneinander vorbei gearbeitet. Wir haben versucht, uns eigenständig für unsere Standpunkte stark zu machen. Wir haben versucht, die Widersprüche auszublenden, die das mit sich bringt. Das hat aber nicht funktioniert.
Wir gehen deshalb den konsequenten Schritt und verlassen die Partei.
Wir gehen davon aus, dass mit uns weitere Verantwortungsträger:innen der Grünen Jugend austreten werden. Wir machen allen ein Angebot, mit uns an einem anderen Ort Politik zu machen, werden aber niemanden unter Druck setzen. Wer gerne in der Grünen Jugend bleiben und sich hier an der Entwicklung eines neuen Kurses beteiligen möchte, kann das tun. Wir machen damit in der Grünen Jugend Platz für Menschen, die gerne wieder verstärkt in die Partei hineinwirken und sich aus der Daueropposition herausbewegen wollen. Wir werden unsere Amtsgeschäfte bis zum Bundeskongress der Grünen Jugend am 18.-20. Oktober in Leipzig gewissenhaft zu Ende führen, die Wahl des neuen Bundesvorstands ermöglichen und danach auch aus der Grünen Jugend austreten. Wir werden uns danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen.
Es ist uns wichtig zu betonen, dass wir Euch nicht für schlechte Menschen halten. Wir sind überzeugt, dass ihr alle angefangen habt Politik zu machen, weil euch Umwelt- und Naturzerstörung umgetrieben haben, ihr die soziale Ungerechtigkeit nicht ertragen und für Demokratie und Miteinander werben wolltet – das hat ja auch uns zu den Grünen gebracht. Wir wissen, wie sehr ihr in der Koalition um Kompromisse gerungen habt und wie oft ihr gegen SPD und FDP alleine da standet. Wir wissen, dass viele von Euch in den letzten Jahren oft selbst gezweifelt haben und nicht wussten, wie sie die Politik der Ampel noch mittragen sollen. Wir wissen das – und gehen trotzdem. Weil wir keine Perspektive darauf sehen, dass die Partei in Zukunft einen grundsätzlich anderen Kurs einschlägt. Weil der strategische Dissens zu groß geworden ist. Weil wir glauben, dass es wieder eine starke linke Kraft in Deutschland braucht, die gerade diejenigen anspricht, die sich in den letzten Jahren abgewandt haben, die in Armut und Abstiegsangst leben, die schon lange nicht mehr wählen gehen – oder sich den Rechten zugewandt haben. Wir sind überzeugt, dass es wieder eine linke Kraft braucht, die Menschen begeistern und Hoffnung machen kann, die noch nie das Gefühl hatten, dass auch für sie Politik gemacht wird. Diese Kraft wird die grüne Partei unserer Einschätzung nach nicht mehr werden – aber diese linke Kraft wollen wir nun mit aufbauen. Wir sind uns sicher, dass unsere Energie und Tatkraft in dieser Mammutaufgabe besser aufgehoben ist als im innerparteilichen Dauerkonflikt, der alle nur aufreibt.
Ihr selbst merkt, was passiert, wenn die Politik nur noch von rechts getrieben wird. Vielleicht versteht Ihr ja, warum wir diesen Schritt gehen. Wir verstehen aber auch, wenn Ihr wütend auf uns seid, Ihr Euch von uns im Stich gelassen fühlt oder nicht mehr mit uns reden möchtet.
Deswegen ist uns umso wichtiger, jetzt dafür Sorge zu tragen, dass beim Bundeskongress im Oktober neue Menschen Verantwortung für die Grüne Jugend übernehmen können und auch danach gut in ihr Amt finden. Wir werden uns in die Wahl des neuen Bundesvorstandes aus Fairnessgründen nicht einmischen, aber organisieren, dass alle Kandidat*innen sich absprechen können. Wir wollen den Übergang für beide Seiten gut organisieren, gerne in Zusammenarbeit mit der Partei. Es ist uns wichtig, dass das neue Team der Grünen Jugend gut starten kann.
Wer noch einmal mit uns sprechen möchte, kann sich gerne jederzeit an uns wenden. Wir geben unser Bestes, sobald sich alles etwas gelegt hat und ein neuer Bundesvorstand gewählt ist, alle Anfragen zu beantworten.
Herzliche Grüße,
der Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND – Svenja, Katharina, Jonathan, Jannika, Pia, Magda, Nicolas, Julia, Heinrich und Charlotte”
Bild: Grüne Jugend / Elias Keilhauer