Wandlitz – Jahrzehntelang lebte die Familie Lieske in einem Haus in Wandlitz, das sie nun zurückgeben muss. Der Rechtsstreit um das Grundstück, das einst zwei jüdischen Frauen gehörte und in der NS-Zeit zwangsenteignet wurde, ist beendet. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wies die Revision der Familie ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Rückübertragung an die Jewish Claims Conference (JCC). Was bedeutet das für die Betroffenen und welche Rolle spielt die JCC in diesem Prozess?
NS-Zwangsenteignung: Die Geschichte des Grundstücks
Das Grundstück gehörte ursprünglich den Jüdinnen Alice Donat und Helene Lindenbaum, die es 1932 erwarben und dort ein Feriendomizil für jüdische Kinder betrieben. Unter der Herrschaft des NS-Regimes wurden sie 1939 zum Verkauf gezwungen. Ihr Schicksal endete tragisch: Beide Frauen wurden in Auschwitz ermordet. Der Großvater erwarb im selben Jahr drei Flurstücke in Wandlitz.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die Bundesrepublik, Entschädigungs- und Rückerstattungsansprüche für NS-Unrecht zu regeln. 1952 wurde die Jewish Claims Conference als Vertreterin jüdischer Opfer anerkannt. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden offene Vermögensfragen erneut geprüft. Das Haus, in dem die Familie Lieske wohnt, gehört zu einem der letzten Restitutionsfälle in Brandenburg.
Hintergrund der Entscheidung
Das Gericht in Leipzig entschied, dass auch eine unentgeltliche Verfügung die Rückgabe eines anmeldebelastetes Grundstücks nicht behindere. Die Anwälte der Familie Lieske wollten die Rückgabe mit der Pflegeleistung der heute 85-jährigen Gabriele Lieske für ihre Mutter aushebeln. Sie sprachen von einer Übertragung des Grundstücks in der Zeit von 1993/1994, dies war zwar ein entgeltliches Geschäft, jedoch gab es eine Nebenabrede über die Pflege der Mutter, welche durch die Tochter erfolgen sollte.
Die Mutter der heutigen Bewohnerin starb 2012 und es seien bis zu diesem Zeitpunkt Leistungen im Gegenwert von mehreren zehntausend Euro erbracht worden.
Bereits 1992 betrat die Conference on Jewish Material Claims against Germany Inc. (JCC) als Rechtsnachfolgerin der Veräußerer die Rückübertragung der Grundstücke. Die Mutter und die heutige Klägerin schlossen ein Jahr später einen Grundstücksübergabevertrag. Vorgesehen war ein lebenslanges Wohnrecht der Mutter. 1995 erhielt die Klägerin bereits zwei der drei Flurstücke als Geschenk. Neben den Pflegeleistungen sollte die Tochter auch die Kosten für Wasser, Abwasser, Licht und Heizung tragen.
Familie schlug Wohnrecht aus
2015 forderte das Bundesamt für Offene Vermögensfragen die Rückübertragung des Grundstücks an die JCC, da keine direkten Nachkommen der ursprünglichen Besitzerinnen mehr existieren. Gegen diese Forderung wehrte sich die Familie Lieske gerichtlich. Ihr Argument: Sie lebten seit Generationen in dem Haus und betrachteten es als ihr Zuhause. Die Argumentation reichte dem Gereicht nicht. Ähnlich wie bei Hehlerware kann man an geraubten Grundstücken und Häusern keinen Besitz erlangen.
Das Gericht wies die Klage gegen die Rückübertragung ab, somit bleibt die Revision ohne Erfolg.
In der Erklärung des Gerichtes führte man weiter aus, dass die JCC als Rechtsnachfolgerin der beiden verfolgten Frauen rückübertragungsberechtigt ist. Die Grundstücksübergabe ändert daran nicht, so das Gericht weiter. Beachtet werden muss dafür laut Gericht die Entstehungsgeschichte des entsprechenden Gesetzes sowie der Regelungszweck. Das Gesetz deckt dabei keine Schenkungen zulasten der Berechtigten. Zudem sei ein Wohnrecht nach der Kammer keine Gegenleistung.
Die JCC, als neue Eigentümerin des Grundstücks, unterstützt mit den Einnahmen aus Rückübertragungen Holocaust-Überlebende weltweit. Aus Förderungen und Stipendien werden von der Organisation vergeben, etwa für soziale Dienstleistungen für Überlebende der Shoa, aber auch für Ausbildung, Dokumentation und Forschung.1 Im Jahr 2024 fließen laut der Organisation 535 Millionen Dollar an über 115.000 Überlebende in mehr als 80 Ländern. Das Wandlitzer Grundstück wird nun Teil dieses umfassenden Wiedergutmachungsprozesses.
„Wir wissen nicht, wohin“
Die JCC zeigte sich bereits im Vorfeld kompromissbereit und bot der Enkelin des ursprünglichen Käufers ein lebenslanges Wohnrecht an. Das Angebot wurde von der Familie jedoch abgelehnt. Stattdessen zog sie bis vor das Bundesverwaltungsgericht.
Die 85-jährige Klägerin äußerte, sie habe ihr ganzes Leben in dem Haus verbracht und ihre Eltern dort gepflegt. Gegenüber dem rbb sagte der Sohn: „Wir wissen nicht, wohin“. Die Familie sei bereit, sich von der Polizei räumen zu lassen.
Rüdiger Mahlo, Repräsentant der JCC in Deutschland, erklärte gegenüber dem rbb dass der Enkelin des Hauskäufers bereits ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt wurde. Das Angebot bleibe „auch nach der Rückübertragung weiterhin bestehen“.
Ein Symbol der Wiedergutmachung
Der Fall des Wandlitzer Grundstücks steht exemplarisch für die komplexen und emotional aufgeladenen Restitutionsverfahren in Deutschland. Er zeigt, wie tief die Verbrechen des NS-Regimes bis heute nachwirken. Auch wenn für die betroffene Familie die Entscheidung des Gerichtes eine Tragödie darstellt, erinnert sie an das größere Ziel: die historische Gerechtigkeit für die Opfer des Holocaust.
Die Rückübertragung des Grundstücks an die Jewish Claims Conference (JCC) fügt sich in eine jahrzehntelange Arbeit der Wiedergutmachung ein, bei der mindestens das materielle Unrecht des NS-Regimes korrigiert werden soll. Jenseits der rein rechtlichen Fragen bleibt der Fall eine Mahnung, wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit und der Respekt vor dem Eigentum und den Rechten der Verfolgten ist.
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Kurz & Bündig
Warum ist die Rückübertragung des Grundstücks in Wandlitz bedeutsam?
Die Rückübertragung an die JCC steht symbolisch für die Aufarbeitung des NS-Unrechts und den Respekt vor den Rechten der Verfolgten.
Wer sind die ursprünglichen Eigentümer des Wandlitzer Grundstücks?
Alice Donat und Helene Lindenbaum, jüdische Frauen, die das Grundstück 1932 erwarben und 1939 zwangsweise verkaufen mussten.
Welche Rolle spielt die Jewish Claims Conference (JCC)?
Die JCC setzt sich für die Rückgabe geraubten Eigentums ein und verwendet die Erträge zur Unterstützung von Holocaust-Überlebenden weltweit.
Wie unterstützt die JCC Holocaust-Überlebende?
Durch soziale Dienstleistungen, finanzielle Unterstützung und Bildungsprogramme, die weltweit mehr als 115.000 Überlebenden zugutekommen.
Was passiert mit dem Wandlitzer Grundstück?
Es wird Teil der Wiedergutmachungsarbeit der JCC, mit Einnahmen, die Holocaust-Überlebende unterstützen.
Quellen:
Eigene Recherche
Familie muss Grundstück in Wandlitz an jüdische Organisation zurückgeben | rbb24
Pressemitteilung Nr. 64/2024 | Bundesverwaltungsgericht
- http://www.claimscon.de/foerderungstipendien/antraege-auf-foerderung-durch-die-claims-conference-grants.html[↩]