Beim Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft zwischen Österreich und der Türkei sorgte der türkische Verteidiger Merih Demiral nicht nur durch seine sportliche Leistung, sondern auch durch eine kontroverse Geste für Aufsehen. Er löste damit einen diplomatischen Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei aus. Nachdem der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt wurde, reagierte das Auswärtige Amt und bestellte nun den türkischen Botschafter in Berlin ein.
Beim Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft zwischen Österreich und der Türkei sorgte der türkische Verteidiger Merih Demiral nicht nur durch seine sportliche Leistung, sondern auch durch eine kontroverse Geste für Aufsehen. Demiral, der maßgeblich zum 2:1-Sieg seines Teams beitrug, zeigte nach seinem zweiten Treffer den sogenannten »Wolfsgruß« – eine Handgeste, die als Symbol der rechtsextremen »Ülkücü«-Bewegung, auch bekannt als „Graue Wölfe“, gilt. Diese Gruppe, die in Deutschland etwa 12.000 Mitglieder zählt und vom Bundesverfassungsschutz als nationalistisch und rechtsextrem eingestuft wird, ist die größte rechtsextreme Organisation im Land und wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Politische Reaktionen und Forderungen nach Sanktionen
Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte sich zu dem Vorfall auf der Plattform X und betonte, dass Symbole türkischer Rechtsextremisten in deutschen Stadien nichts zu suchen haben. Sie forderte die UEFA auf, den Fall zu untersuchen und mögliche Sanktionen zu prüfen. Die UEFA hat daraufhin ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral eingeleitet, das sich auf sein mögliches unangemessenes Verhalten konzentriert. Bei einer Verurteilung könnten dem Spieler Sanktionen drohen, die auch seine Teilnahme am bevorstehenden Viertelfinale gegen die Niederlande beeinflussen könnte.
In der Türkei hingegen bezeichnete der Chef der MHP, Devlet Bahceli, die Einleitung des UEFA-Verfahrens als „Provokation“. Die MHP, der politische Arm der „Grauen Wölfe“, ist im türkischen Parlament vertreten und Bündnispartner der regierenden AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Geschichte der „Grauen Wölfe“ und ihre Verbindungen nach Deutschland
Die „Grauen Wölfe“ bezeichnen sich selbst als Ülkücü, was auf Deutsch „Idealisten“ bedeutet. Nach aktuellen Schätzungen ist diese Gruppe die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland. In der Bewegung gilt das Führerprinzip (Başbuğ), wobei der Gründer der Partei MHP als Führer verehrt wird und seine Ansichten weiterhin zentral für die Identität der Anhänger sind. Ende der 70er-Jahre schlossen sich zahlreiche türkisch-rechtsextreme Verbände zur ADÜTDF (Türkische Föderation der Idealistenvereine in Deutschland, heute bekannt als Türk Federasyon) zusammen. Theoretisch ist dieser Verein ein unabhängiges Organ, doch die Verbindungen zur MHP sind stark gefestigt. Die MHP gilt als wichtiger Partner der AKP-Regierung unter Präsident Erdogan, und die Bundeszentrale für politische Bildung spricht von einer praktischen Tochterorganisation.
„Grauen Wölfe“ Gewalt und Mord auch in Deutschland
Die Geschichte der „Grauen Wölfe“ ist auch in Deutschland mit Gewalt und Mord verknüpft. Bereits am 5. Januar 1980 kam es zu einem tödlichen Angriff in Berlin, bei dem der linke Aktivist* Celalettin Kesim nach einem Überfall durch türkische Rechtsextreme am Kottbusser Tor erstochen wurde. Im Verfassungsschutzbericht von 1980 wurde festgehalten, dass türkische Rechtsextremisten in elf Fällen versucht haben, politische Gegner zu töten, wobei 126 Personen verletzt wurden, darunter auch Polizeibeamte. Uns sind insgesamt drei weitere Todesopfer im Kontext der „grauen Wölfe“ in Deutschland bekannt.
Recep Tayyip Erdoğan will Spiel besuchen
Der türkische Fußballverband hat sich bisher nicht klar zu dem Vorfall positioniert und ein für Medien geplantes Training des EM-Viertelfinalisten wurde kurzfristig abgesagt und in die Sporthalle des türkischen Quartiers in Barsinghausen verlegt.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan kündigte an, dass er das EM-Viertelfinalspiel der Türkei gegen die Niederlande am Samstag in Berlin besuchen wolle.
Quellen:
Eigne Recherche
Verfassungsschutzbericht 1980 und aktuell
Graue Wölfe – die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland | Rechtsextremismus | bpb.de
Nihal Atsız (1956): “Türk Ülküsü” [Die Türkische Idee], İstanbul 1956.
Rainer Werle/ Renate Kreile (1987): Renaissance des Islam. Das Beispiel Türkei. Hamburg, S. 90.
(1) Nancy Faeser auf X: „Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel. Wir erwarten, dass die UEFA den Fall untersucht und Sanktionen prüft. https://t.co/65yoSUAAQJ“ / X
(1) Auswärtiges Amt auf X: „Als @EURO2024DE Gastgeber wünschen wir uns, dass Sport verbindet. Der türkische Botschafter wurde heute ins Auswärtige Amt einbestellt.“ / X
Hinweis: *türkischer Kommunist, Lehrer und Sekretär des Berliner Türkenzentrums