Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die AfD keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Vorsitz in Bundestagsausschüssen hat. In seinem Urteil vom 18. September 2024 stellte der Zweite Senat unter der Leitung von Richterin Doris König fest, dass sowohl die Abwahl des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzenden des Rechtsausschusses als auch das Scheitern der AfD-Kandidaten in anderen Ausschüssen verfassungsrechtlich unbedenklich seien.
Keine Verfassungsverstöße bei Ausschusswahlen und Abwahl
Die Richter urteilten, dass die Abwahl von Brandner und die anschließende Verteilung der Ausschussvorsitze auf Grundlage freier Wahlen in den einzelnen Ausschüssen verfassungsgemäß erfolgt sind. Damit wies das Gericht zwei Klagen der AfD-Bundestagsfraktion zurück, die sich gegen die Abwahl ihres Fraktionsmitglieds und gegen das Scheitern ihrer Kandidaten in der 20. Wahlperiode richteten.
Die AfD sah sich in ihrem Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion gemäß Artikel 38 des Grundgesetzes verletzt. Das Gericht entschied jedoch, dass der Bundestag bei der Besetzung der Ausschüsse innerhalb seiner Geschäftsordnungsautonomie handelte und keine Pflicht besteht, einen bestimmten Kandidaten einer Fraktion in ein Leitungsamt zu wählen.
Brandners Abwahl nach umstrittenem Tweet
Brandner war im November 2019 abgewählt worden, nachdem er nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle (an der Saale) einen Tweet geteilt hatte, der als antisemitisch kritisiert wurde. In dem Tweet wurde beanstandet, Politiker lungerten „mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum“. Dabei seien die Opfer doch Deutsche gewesen. Brandner entschuldigte sich zwar, lehnte jedoch Rücktrittsforderungen ab. Zuvor versuchte er jedoch, den Tweet zu verteidigen. Auch danach sorgte er weiterhin für Aufsehen, etwa als er einen Zusammenhang zwischen der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Musiker Udo Lindenberg und dessen Kritik an der AfD herstellte. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder entschied daraufhin, ihn aus dem Amt zu entfernen.
Seitdem wurde kein AfD-Mitglied mehr zum Vorsitzenden eines Bundestagsausschusses gewählt. Auch bei den Wahlen zu den Ausschussvorsitzen in der 20. Wahlperiode, bei denen die AfD für den Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss Kandidaten vorgeschlagen hatte, konnte keiner der AfD-Bewerber eine Mehrheit gewinnen.
Urteil stärkt Entscheidungsfreiheit des Bundestages
Das Gericht stellte klar, dass der Bundestag bei der Vergabe von Ausschussvorsitzen im Rahmen seiner inneren Ordnung frei ist. Das Zugriffsverfahren, bei dem die Ausschussvorsitze proportional zur Stärke der Fraktionen verteilt werden, erfordere keine automatische Bestätigung der von den Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten. Vielmehr stehe es den Ausschüssen frei, über die Besetzung der Vorsitzposten durch Wahlen zu entscheiden.
Das Urteil des Verfassungsgerichts verdeutlicht damit die Grenzen der Teilhaberechte von Oppositionsfraktionen und stärkt die Autonomie des Bundestages in seinen inneren Angelegenheiten. Für die AfD bedeutet dies eine erneute juristische Niederlage in ihrem Kampf um politische Einflussnahme auf institutioneller Ebene.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Detail
Das Urteil des Verfassungsgerichts deckt mehrere zentrale Aspekte ab:
- Abwahl von Stephan Brandner (§ 58 GO-BT): Die Abwahl des AfD-Abgeordneten Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses verstieß nicht gegen die Verfassung. Das Gericht stellte klar, dass die Abwahl durch den Rechtsausschuss im Einklang mit der Geschäftsordnung des Bundestages erfolgt sei. Die Entscheidung der Ausschussmehrheit, Brandner aufgrund seines umstrittenen Verhaltens abzuwählen, ist laut dem Gericht rechtlich zulässig.
Zusätzlich heißt es im Urteil: „Verfassungsrechtlich sei das Amt des Ausschussvorsitzenden nicht in einer Weise geschützt, die einer Abberufung entgegenstehe.“ - Freie Wahlen zu Ausschussvorsitzen (§ 12 Satz 1 GO-BT): Die Wahl der Ausschussvorsitze, bei der die Kandidaten der AfD keine Mehrheit erhielten, sei ebenfalls verfassungsgemäß. Laut dem Urteil darf die Geschäftsordnung des Bundestages eine freie Wahl der Vorsitzenden durch die Ausschussmitglieder vorsehen. Ein Anspruch auf den Vorsitz aufgrund der bloßen Nominierung durch eine Fraktion existiere nicht, und die Abgeordneten hätten das Recht, sich frei zu entscheiden.
- Gleichbehandlungsanspruch der Fraktionen (Art. 38 Abs. 1 GG): Das Gericht entschied, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen keinen Anspruch auf die Besetzung von Vorsitzposten durch eine bestimmte Partei begründet. Die Geschäftsordnung sei so auszulegen, dass sie eine faire und loyale Anwendung sicherstellt, ohne dass diese jedoch gleich einen Automatismus für die Besetzung von Leitungsfunktionen schaffen müsse. Der Anspruch auf Gleichbehandlung beziehe sich lediglich auf die Teilnahme an den Wahlen, nicht auf deren Ausgang.
Politische Konsequenzen
Mit dieser Entscheidung bleibt die AfD weiterhin von leitenden Positionen in den Ausschüssen ausgeschlossen. Die Diskussion über die angemessene Repräsentation der Opposition im Bundestag könnte durch das Urteil neu entfacht werden, auch wenn das Verfassungsgericht die Vorgehensweise des Bundestages als rechtmäßig bestätigte. Sehr wahrscheinlich dürfte sich die AfD oder zumindest ihr Umfeld in einer Opferposition sehen.
FAQ – Kurz und bündig
Hat die AfD einen Anspruch auf Ausschussvorsitze?
Nein, das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die AfD keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf hat.
Was sagt das Grundgesetz zu Fraktionen im Bundestag?
Das Grundgesetz garantiert die Gleichbehandlung aller Abgeordneten, jedoch ohne einen Anspruch auf Ausschussvorsitze.
Welche Auswirkungen hat das Urteil auf andere Oppositionsparteien?
Das Urteil betrifft hauptsächlich die AfD, könnte aber auch Diskussionen über die Repräsentation anderer Oppositionsparteien anstoßen.
Quellen:
Eigene Recherche
Bundesverfassungsgericht – Presse – Erfolglose Organklagen der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag wegen der Wahl und Abwahl von Ausschussvorsitzenden