Aktuell geht es im Bundestag um das sogenannte Sicherheitspaket der Ampelkoalition, die Abgeordneten beraten seit dem Morgen darüber. Im Mittelpunkt stehen zwei Gesetzentwürfe, die umfassende Änderungen im Asylrecht, im Waffenrecht und in den Befugnissen der Sicherheitsbehörden vorsehen. Trotz der Bemühungen der Regierungskoalition, die Maßnahmen als dringend notwendige Reaktion auf zunehmende Sicherheitsbedenken in der Bevölkerung zu präsentieren, stößt das Paket auf erheblichen Widerstand – sowohl innerhalb der Regierung als auch von Verbänden und rechtlichen Experten.
Der Bundestag hat zugestimmt
Update von 12:20 Uhr: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP das sogenannte Sicherheitspaket beschlossen, das eine Verschärfung der Migrations- und Sicherheitspolitik vorsieht. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, bedarf es noch der Zustimmung des Bundesrats.
Update von 15 Uhr: Das Sicherheitspaket der Ampel-Koalition ist im Bundesrat teils gescheitert. Ein Gesetz zu erweiterten Befugnissen für Sicherheitsbehörden erhielt bei der Abstimmung in der Länderkammer keine Mehrheit.
Die Inhalte des Sicherheitspakets
Das Sicherheitspaket der Bundesregierung besteht aus zwei zentralen Gesetzesentwürfen: Der erste Gesetzentwurf „zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ (20/12805) sieht schärfere Regelungen im Asylrecht und Waffenrecht vor. Heimreisen von anerkannten Schutzberechtigten sollen künftig in der Regel zur Aberkennung des Schutzstatus führen. Auch wird im Gesetz ein Ausschluss von Sozialleistungen für bestimmte Asylsuchende festgelegt, deren Rückübernahme durch andere EU-Staaten beschlossen wurde.
Im Waffenrecht sind drastische Verschärfungen vorgesehen: Messerverbote sollen auf öffentlichen Veranstaltungen und im öffentlichen Verkehr ausgeweitet werden. Zudem erhalten die Sicherheitsbehörden Befugnisse, verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen, um die Einhaltung dieser Verbote zu überprüfen.
Der zweite Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ (20/12806) sieht neue Überwachungsbefugnisse vor, darunter den biometrischen Abgleich von Daten aus dem Internet sowie die automatisierte Datenanalyse durch das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei. Diese Maßnahmen sollen insbesondere dabei helfen, mutmaßliche Terroristen schneller zu identifizieren und terroristische Netzwerke aufzudecken.
Massive Kritik von Verbänden und Opposition
Der Deutsche Jagdverband (DJV) und der Deutsche Schützenbund (DSB) haben sich in einem Brandbrief gegen das Gesetzesvorhaben gestellt. Sie kritisieren, dass das Sicherheitspaket handwerklich schlecht gemacht und in Teilen verfassungsrechtlich bedenklich sei. Das verschärfte Waffenrecht treffe legale Waffenbesitzer, ohne einen echten Sicherheitsgewinn zu erzielen. Die beiden Verbände betonen, dass die vorgesehenen Maßnahmen, wie Messerverbotszonen, die Gewalttaten von Mannheim und Solingen nicht hätten verhindern können, da diese bereits in bestehenden Waffenverbotszonen stattfanden. In einer Mitteilung des DJV heißt es weiter: „Es gebe bereits ausreichende Verbote und Regeln im Waffengesetz, diese könnten aber durch die unterschiedlichsten Behörden nicht wirkungsvoll vollzogen werden.“
Bürgerrechtsorganisationen: Tiefe verfassungsrechtliche Bedenken
Besonders scharf wird das Sicherheitspaket von Bürgerrechtsorganisationen wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und dem Chaos Computer Club (CCC) kritisiert. Beide Organisationen sehen in den neuen Überwachungsbefugnissen einen massiven Eingriff in die Grundrechte der Bürger und befürchten weitreichende negative Konsequenzen für die digitale und persönliche Freiheit.
GFF: Gefahr für Grundrechte
Die GFF warnt insbesondere vor den geplanten Änderungen im Asyl- und Sicherheitsrecht. Sarah Lincoln, Expertin für Asyl- und Migrationsrecht bei der GFF, kritisiert die geplanten Leistungskürzungen für Geflüchtete, deren Rückführung nach EU-Recht in ein anderes Land erfolgen soll. Sie warnt, dass der Ausschluss von Sozialleistungen dazu führen könnte, dass betroffene Personen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Dies untergrabe das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum und widerspreche den Menschenrechten.
Auch der erweiterte Einsatz von biometrischen Überwachungsinstrumenten stößt bei der GFF auf heftigen Widerspruch. Der biometrische Abgleich von Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen, etwa aus sozialen Medien, gefährde die Privatsphäre der Bürger in unverhältnismäßiger Weise. Bijan Moini, Legal Director der GFF, betont, dass solche Maßnahmen besonders anfällig für Missbrauch seien. Durch die unklare Abgrenzung, wann und wie die biometrischen Daten genutzt werden dürfen, werde eine Tür für massenhafte Überwachung geöffnet, die letztlich Grundrechte untergrabe.
Moini warnt weiter vor den weitreichenden Befugnissen zur automatisierten Datenanalyse, die es den Sicherheitsbehörden ermöglicht, mit KI-Anwendungen private und öffentliche Daten zu durchsuchen. Solche Werkzeuge, so Moini, schafften eine Infrastruktur, die kaum mehr kontrollierbar sei. „Diese Koalition ist vor drei Jahren angetreten, um die Freiheit zu stärken. Nun schafft sie im Eilverfahren neue Befugnisse zum Abgleich von Gesichtern und Stimmen mit dem Internet und zur KI-gestützten Verknüpfung polizeilicher Datenbanken, von denen sie teilweise selbst weiß, dass sie derzeit noch nicht umsetzbar sind. Das riecht nach Aktionismus und nicht nach kluger, freiheitsschonender Sicherheitspolitik.“, so Moini.
Chaos Computer Club: „Die größte Enttäuschung“
Der Chaos Computer Club, einer der prominentesten Akteure im Bereich digitaler Bürgerrechte, kritisiert die geplanten Überwachungsmaßnahmen ebenfalls scharf. Der CCC sieht in den neuen Regelungen zur automatisierten Datenanalyse und zum biometrischen Abgleich eine massive Bedrohung für den Datenschutz. Besonders kritisch sieht der Club die Möglichkeit, dass private Dienstleister bei der Datenanalyse und -überwachung eingebunden werden könnten, sofern sie ihren Sitz in der EU oder einem Schengen-assoziierten Staat haben. Der CCC befürchtet, dass solche Regelungen Schlupflöcher schaffen könnten, die es privaten Unternehmen ermöglichen, staatliche Überwachungsmaßnahmen im Auftrag durchzuführen, ohne dass dies ausreichend kontrolliert wird.
Zudem kritisiert der CCC den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware und die Ausweitung von verdachtsunabhängigen Kontrollen im öffentlichen Raum. „Die biometrischen Überwachungsmaßnahmen führen in eine dystopische Zukunft, in der niemand mehr anonym im öffentlichen Raum oder im Internet unterwegs sein kann.“ Matthias Marx, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC), findet deutliche Worte: „Die Bundesregierung lässt sich von den Faschisten treiben und schwenkt in Rekordzeit von ‚Anonymität wahren‘ zu ‚alle biometrisch überwachen‘.“ Der Club sieht in den geplanten Maßnahmen einen gefährlichen Schritt in Richtung einer umfassenden Überwachungsgesellschaft, in der staatliche Stellen weitreichende Befugnisse erhalten, ohne dass die Bürger sich dagegen effektiv wehren können.
Widerstand in den eigenen Reihen
Der Widerstand gegen das Sicherheitspaket beschränkt sich jedoch nicht nur auf externe Akteure. Auch innerhalb der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP regt sich Unmut. Bei einer Probeabstimmung in der SPD-Fraktion stimmten rund 20 bis 25 Abgeordnete gegen das Gesetzespaket. Auch in der Fraktion der Grünen gibt es erhebliche Vorbehalte, insbesondere gegen die verschärften Überwachungsmaßnahmen und die Verschärfungen im Asylrecht.
Bundeskanzler Olaf Scholz forderte seine Fraktion eindringlich zur Geschlossenheit auf. Angesichts der Abweichler innerhalb der SPD und Grünen drohte Scholz indirekt mit Konsequenzen, falls die eigene Mehrheit bei der Abstimmung gefährdet sein sollte. Juso-Chef Philipp Türmer reagierte scharf auf diese Äußerungen und warf dem Kanzler vor, Abweichler unter Druck setzen zu wollen. Auch in der Fraktion der Grünen ist die Stimmung gespalten: Während einige wie Franziska Brantner die Maßnahmen verteidigen, fordern andere eine Ablehnung des Pakets.
Die Vorschläge der Opposition
Neben der Koalition bringen auch die Oppositionsparteien eigene Vorschläge zur Abstimmung. Die CDU/CSU hat mehrere Änderungs- und Entschließungsanträge eingebracht, die auf eine Verschärfung der Grenzkontrollen abzielen. Die Union fordert, dass Drittstaatenangehörige an den Grenzen konsequenter zurückgewiesen werden und das Asylrecht in dieser Hinsicht verschärft wird.
Auch die AfD hat Anträge eingereicht, die unter anderem eine gezielte Sanktionierung von Messerangriffen vorsehen. Zudem fordert die AfD eine Kehrtwende in der deutschen Migrationspolitik, die sich in einer strikteren Kontrolle der Außengrenzen und einer drastischen Verkürzung der Asylverfahren widerspiegeln soll. Beide Anträge der AfD werden ebenfalls am Freitag zur namentlichen Abstimmung gebracht.
Nervosität vor der Abstimmung
Die Abstimmung über das Sicherheitspaket wird namentlich durchgeführt, was den Druck auf die Abgeordneten erhöht, sich an die Fraktionsdisziplin zu halten. Vor allem in den Reihen der SPD und Grünen bleibt abzuwarten, ob es zu weiteren Abweichungen kommen wird. Während die Union und die AfD das Paket aus unterschiedlichen Gründen ablehnen, steht die Koalition unter starkem Druck, ihre Mehrheit zu sichern und das Gesetzespaket durchzubringen.
Unklar bleibt, ob die internen Spannungen in der Ampel-Koalition die endgültige Abstimmung beeinflussen werden. Die Opposition hofft darauf, dass die Uneinigkeit in den Regierungsfraktionen zu einer Verschiebung oder gar Ablehnung des Pakets führt. Sicher ist jedoch: Die Debatte um das Sicherheitspaket spiegelt die tiefe politische und gesellschaftliche Spaltung in Deutschland wider, wenn es um den Schutz der inneren Sicherheit und den Umgang mit Freiheitsrechten geht.
Kurz & Bündig
Was ist das Sicherheitspaket der Bundesregierung?
Das Paket der Bundesregierung ist ein umfassendes Maßnahmenpaket, das zwei Gesetzesentwürfe enthält. Es zielt darauf ab, die innere Sicherheit zu stärken, indem das Asylrecht und Waffenrecht verschärft sowie die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitert werden. Die Gesetze beinhalten unter anderem strengere Regelungen im Asylverfahren und neue Überwachungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung.
Welche Änderungen im Asylrecht sind vorgesehen?
Das Paket sieht vor, dass anerkannte Schutzberechtigte ihren Status verlieren, wenn sie in ihr Herkunftsland reisen. Außerdem sollen bestimmte Asylsuchende, die in andere EU-Staaten zurückgeführt werden, von Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Dies soll Missbrauch im Asylsystem verhindern.
Was ändert sich im Waffenrecht durch das Sicherheitspaket?
Die geplanten Änderungen im Waffenrecht betreffen hauptsächlich Messerverbote, die auf öffentliche Veranstaltungen und den öffentlichen Verkehr ausgeweitet werden. Sicherheitsbehörden erhalten zudem das Recht, verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen, um die Einhaltung dieser Verbote zu überprüfen.
Welche neuen Überwachungsbefugnisse erhalten die Sicherheitsbehörden?
Das Sicherheitspaket sieht vor, dass Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei erweiterte Befugnisse zur Überwachung erhalten. Dazu gehören der biometrische Abgleich von Daten aus dem Internet sowie die automatisierte Analyse dieser Daten, um terroristische Netzwerke schneller identifizieren zu können.
Warum gibt es so viel Kritik am Sicherheitspaket?
Kritiker:innen, darunter Bürgerrechtsorganisationen und rechtliche Experten, sehen in den Maßnahmen des Sicherheitspakets erhebliche Eingriffe in die Grundrechte. Sie warnen, dass die neuen Überwachungsbefugnisse die Privatsphäre der Bürger stark einschränken könnten und das Risiko für Missbrauch durch staatliche Stellen erhöht wird. Auch die Leistungskürzungen für Asylsuchende stoßen auf Widerstand, da sie möglicherweise Menschen in existenzielle Notlagen treiben.
Gibt es Widerstand innerhalb der Regierung gegen das Sicherheitspaket?
Ja, auch innerhalb der Ampelkoalition gibt es Widerstand gegen das Sicherheitspaket. Vor allem in der SPD und bei den Grünen kritisieren einige Abgeordnete die Verschärfungen im Asylrecht und die erweiterten Überwachungsbefugnisse. Kanzler Olaf Scholz hat jedoch zur Geschlossenheit aufgerufen, um die Mehrheit bei der Abstimmung zu sichern.
Quellen:
Eigene Recherche
Deutscher Bundestag Drucksache 20/12805
Deutscher Bundestag Drucksache 20/12806
CCC | Biometrischer Überwachungsexzess der Bundesregierung
CCC | Zivilgesellschaft kritisiert Sicherheitspaket
Streit um Sicherheitspaket: Scholz mahnt zur Disziplin, Kritik aus SPD und Grünen wächst | obiaushv.de
Sicherheitspaket: Jäger und Sportschützen appellieren an Vernunft der Abgeordneten | Deutscher Jagdverband
O-Töne Sarah Lincoln und Bijan Moini zum Sicherheitspaket: Nicht nur unbestimmt, sondern in Teilen verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig – GFF – Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.