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Vor dem Roten Rathaus in Berlin versammelten sich Aktivist:innen, um gegen das nordische Modell und für bessere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter:innen zu protestieren.

Kampf um die Rechte von Sexarbeiter:innen: Protest gegen das nordische Modell

Sexarbeit Demo Berlin

In einer Zeit, in der die Debatte um die Rechte und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter:innen intensiver geführt wird denn je, versammelten sich am vergangenen Sonntag vor dem Roten Rathaus in Berlin Demonstrant:innen, um gegen die Stigmatisierung anzukämpfen und für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten. Im Mittelpunkt ihres Protests stand das sogenannte nordische Modell.

Bedrohung durch nordisches Modell

Sexarbeit hat nicht nur einen negativen Ruf in der Gesellschaft, sondern zurzeit ist sie auch noch vom „nordischen Modell“ bedroht. Das Sexkaufverbot verbietet an sich nicht direkt die Prostitution, sondern entspringt aus der Kombination strafrechtlicher und sozialpolitischer Maßnahmen, wobei die Kriminalisierung der Kundschaft das Kernstück ist. Laut Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.), müsste die Arbeit darauffolgend entweder bei den Arbeiter:innen Zuhause oder im Haus der Kund:innen stattfinden. Dieses sei aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich, wie wegen der eigenen Kinder, Ehepartner oder der Familie allgemein. Außerdem dürfe man als Sexarbeiter:innen keine Wohnungen für die Arbeit mieten und sogar der „Taxifahrer könnte [der sie hinbringt] sich strafbar machen“. Das Modell setzt voraus, dass der Staat alternative Beschäftigungsangebote zur Verfügung stellt, sodass ein Ausstieg möglich ist. Letztlich müsse man dann in der Bevölkerung eine Aufklärungs- und Bildungskampagne gegen die Prostitution führen. Insgesamt versucht das Modell, Prostitution weitgehend einzudämmen, indem es die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu reduzieren versucht.

Zurzeit haben acht Länder das nordische Modell eingeführt: Schweden, Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland, Israel. Kritiker:innen des Modells beschäftigen sich hauptsächlich mit der Problematik, Menschenhandel durch eine allgemeine Kriminalisierung der entgeltlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen zu bekämpfen. Zudem seien die Auswirkungen des Nordischen Modells auf Angebot und Nachfrage von Dienstleistungen von Prostituierten umstritten: Eine Untersuchung der Regierung Nordirlands zeigte, dass trotz der Kriminalisierung der Kundschaft das Angebot an Prostitution nicht signifikant zurückgegangen ist, sondern sich sogar um 5 % erhöht hatte. Auch die Einführung des Kaufverbots hatte keinen bedeutenden Einfluss auf die Nachfrage nach Prostitution. Stattdessen hat sich die Prostitution einfach vom physischen Straßenraum ins Internet verlagert.

„Wir brauchen viel, aber nicht so ein Scheiß-Sexkaufverbot“

Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.) erklärte, auf der Demo werde für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Sie betont, dass es in der Zukunft mehr und bessere Alternativbeschäftigungen für Sexarbeiter:innen geben soll und stellt am Beispiel Frankreichs dar, wie das „nordische Modell“ gescheitert ist. Sie sagt, die Anfragen ohne Kondom sollen zugenommen haben, die Preise sind „in den Keller gegangen“ und letztlich habe die Sexarbeit sogar zugenommen.

Eine Angestellte des Gesundheitsamtes ist auch da und berichtet über die Fortschritte und Angebote der Institution. Die spezielle Abteilung des Gesundheitsamtes habe sich von Anfang an gegen das Prostituiertenschutzgesetz und die verpflichtende Beratung gewehrt, da sie schon immer gegen Sondergesetze für Sexarbeitende seien, erklärt sie. „Ich glaube, wir sind mittlerweile über die vielen Jahre in der Community gut bekannt, dass man sich bei uns eben frei von irgendwelchen moralischen Sorgen, dass man verurteilt wird, testen und beraten lassen kann.“ Sie ergänzt, dass die Beratungen Risiko und Anlass bezogen seien: „Also das heißt, wir gucken, wo denn überhaupt ein Risiko war und wie dann die Situation ist und wo es brennt und wo du denn eigentlich hin musst oder was dir denn eigentlich helfen kann. Es geht nicht darum zu gucken, wie lebst du deinen Sex oder womit verdient du dein Geld“.

Dieses Angebot gibt es in Berlin, aber es bestehe auch Bedarf in anderen Städten bundesweit. Zwar existieren ausgestattete Gesundheitsämter und Fachberatungsstellen, die sich engagieren, um Beratung und vielfältige Angebote sicherzustellen. Dennoch sind vergleichbare Angebote selten zu finden, die Menschen ohne Krankenversicherung, Sexarbeitende und alle, die sich mit dem Thema vertraut machen möchten, die Möglichkeit bieten, sich testen zu lassen. „Ich denke, das ist etwas, worauf andere Städte aufschauen können“, sagt sie. In ihrer Rede betont sie: „Wir brauchen viel, aber nicht so ein Scheiß-Sexkaufverbot“. Daraufhin klatscht und pfeift die Menge begeistert.

EU-Parlament stimmte für Sexkauf-Verbot

Das Europaparlament hatte bereits im September 2023 eine Resolution verabschiedet, die sich für die Einführung eines Sexkaufverbots nach dem nordischen Modell ausspricht. Die Abgeordneten fordern einheitliche Regeln für die Prostitution in den EU-Staaten, um Prostituierte besser zu schützen und den Zugang zu Ausstiegsprogrammen zu ermöglichen.

Im EU-Parlament erhielt der Bericht 234 Zustimmungen, während es 175 Gegenstimmen und 122 Enthaltungen gab. In Deutschland ist die Prostitution seit 2002 vollständig legal. Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag (CSU), hatte ein Verbot nach dem schwedischen Modell gefordert.

Die Forderung stößt jedoch auf starken Widerstand seitens der Sexarbeiter:innen. Ein Verbot, sexuelle Dienstleistungen legal in Anspruch zu nehmen, könnte Kunden in den Schwarzmarkt drängen und Prostituierte an den Rand des Existenzminimums bringen. Mit weniger Kunden könnten Prostituierte gezwungen sein, auch unangenehme Kunden anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Zudem würde Prostitution ohne legale Bordelle in unsicheren Umgebungen stattfinden. Dies würde Gewalt, Missbrauch und sexuellen Krankheiten Tür und Tor öffnen, warnt unter anderem die Deutsche Aidshilfe.

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